Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Hofe langweilt man sich, man will unterhalten werden. Faust:
Erst haben wir ihn
〈den Hof〉
reich gemacht
, /
Nun sollen wir ihn amüsieren.
Man wünscht Helena und Paris zu sehen, ein Lichtspiel, ein Illusionstheater. Auch diese Geschichte geht nicht gut aus.
Faust bittet Mephisto um Hilfe. Der empfiehlt ihm, ins
Reich der Mütter
einzugehen. Was ist das für ein
Reich
, was bedeuten
die Mütter
? Als Eckermann Goethe einmal danach fragte, blitzte der ihn nur mit seinen Jupiteraugen an und zitierte einen eigenen Vers:
Die Mütter! – Mütter! – ’s klingt so wunderlich
. Die Szene im Stück verrät dann doch manches. Denn anknüpfend an die Papiergeldszene kann sie als Fortsetzung der Schöpfung aus dem Nichts gelten, allerdings mit anderen Mitteln, nicht mit Papier, sondern mit Bildern. Wenn Mephisto den Faust ins Reich der Mütter schickt, so verweist er ihn auf die innere Werkstatt der Einbildungskraft. Auch dort kann man, wie beim Papiergeld, aus nichts etwas machen, das dann von den anderen so erlebt wird, als sei es wirklich etwas. Faust zu Mephisto:
Du sendest mich ins Leere, / Damit ich dort so Kunst als Kraft vermehre.
Faust, der den Hof mit seinen Lichtspielen amüsieren soll, wird an die Einbildungskraft verwiesen, die im
Leeren
operiert. Inwiefern aber findet dort auch eine Wertschöpfung aus dem Nichts statt? Das klingt ja zunächst rätselhaft.
Doch man vergegenwärtige sich nur einmal, was geschieht, wenn die Einbildungskraft tätig ist, und wie es zugeht, wenn man sich Personen oder Geschichten vorzustellen versucht, wenn man sie sich also einbildet, und wie dann das bloß Vorgestellte bisweilen so wirklich wird, daß es über das eigentlich Wirkliche triumphiert. Der französische Romancier Honoré de Balzac zum Beispiel sagte zu Leuten, die ihn geärgert hatten, drohend: Warten Sie nur, wir werden uns in meinem nächsten Roman wiedersehen! Die Machtergreifung des Eingebildeten kann sogar politisch geschehen, dann sprechen wir von der Herrschaft der Ideologien. Es kann aber auch vorpolitisch und alltäglich geschehen – auch hier läßt Goethe seinen Faust einiges voraussehen, was heute im Zeitalter der Medien Gestalt angenommen hat, wo jeder einen erheblichen Teil seiner Lebenszeit nicht mehr in der ›ersten‹ Wirklichkeit, sondern im Imaginären und in einer mit Imagination durchsetzten Wirklichkeit verbringt. Die Welt ist fast nur noch das, was einem vorgestellt wird.
Faust lernt also von Mephisto, den Zauber der Einbildungskraft ins Werk zu setzen. Er gibt der Hofgesellschaft eine Vorstellung, als Lichtspiel führt er ihr den Raub der Helena vor. Das Problem aber ist nur, daß er sich am Ende selbst verzaubert. Er kann Wirklichkeit und Imagination nicht mehr auseinanderhalten. Mit dem Ruf
Wer sie erkannt der darf sie nicht entbehren
versucht er, die imaginäre Helena zu umarmen. Was hier geschieht, ist einerseits trivial: Faust versucht, Helena wie eine Kinofigur zu umarmen, was nicht gut gehen kann. Andererseits ist diese Szene medientheoretisch hochinteressant, denn sie weist uns darauf hin, daß der ontologische Status der medialen Wirklichkeit ziemlich unklar ist und wir nicht genau wissen, wo denn nun zwischen Sein und Nichtsein solche Figuren wie Helena oder heute Madonna eigentlich existieren.
Mephisto, der den Faust vom metaphysischen
Kribskrabs der Imaginatio
n kurieren wollte, hilft mit, ihn in andere, modernere Formen der Imaginationen zu verwickeln. Das wird auch in der Kriegsszene deutlich.
Das Reich droht in der durch Inflation ausgelösten wirtschaftlichen Krise in Anarchie zu zerfallen. Die inneren und äußeren Gegensätze verschärfen sich. Es kommt zum Krieg. Mephisto bemerkt dazu, sehr lakonisch und zynisch:
Krieg, Handel und Piraterie / Dreieinig sind sie, nicht zu trennen.
Faust und Mephisto agieren als Berater und Helfer des Kaisers, der sich eines Gegenkaisers erwehren muß. Sie leisten nützliche Dienste als Spezialisten für die Erzeugung von Phantomen. Sie stellen Geisterheere auf, die als eine Art Fata Morgana den Gegner so beeindrucken, daß er die Flucht ergreift. Man kann das durchaus als Allegorie wirkungsvoller Kriegspropaganda lesen, eine mediale Vorspiegelung falscher Tatsachen. Die Kriegsführung mit Bildern – auch dies eine ziemlich kühne Antizipation Goethes.
Bei alledem spielt Mephisto, wie schon gesagt, die Rolle des Anstifters zur faustischen Tüchtigkeit. Das Faust-Drama ist, neben vielem anderen, eben auch ein hohes Lied auf diese
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