Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Goethe, der sich in den letzten Jahren auch sehr schweigsam geben konnte, zum Reden brachte. Seine Gewissenhaftigkeit, sein phänomenales Gedächtnis, die intime Vertrautheit mit dem Werk, die kluge Neugier und der an Goethe geschulte Stil haben jenes Werk, die »Gespräche mit Goethe«, möglich gemacht, das Nietzsche mit einiger Übertreibung, das »beste deutsche Buch, das es gibt« genannt hat.
Kaum hatte sich Goethe Anfang 1826 mit Cotta über die Ausgabe letzter Hand geeinigt, war ein weiteres Vorhaben mit ihm unter Dach und Fach zu bringen: die Veröffentlichung des Briefwechsels mit Schiller. Es war zuerst Cotta gewesen, der am 19. Dezember 1806, anderthalb Jahre nach Schillers Tod, Goethe den Vorschlag gemacht hatte, einige Briefe Goethes und Schillers in Cottas Hauspostille, dem »Morgenblatt für gebildete Stände«, zu veröffentlichen. Darauf hatte Goethe nicht reagiert. Am 11. Juni 1823, siebzehn Jahre später, schildert Goethe seinem Verleger dann das außerordentliche Vergnügen, mit dem er soeben in Schillers Briefen gelesen habe und bezeichnet die Sammlung als den
größten Schatz, den ich vielleicht besitze
. Im Jahr darauf veröffentlicht er einige Schiller-Briefe in »Über Kunst und Altertum«. Das war als Kostprobe gedacht, denn nun beabsichtigt er, den ganzen Briefwechsel zu veröffentlichen. Dafür mußte zuerst noch Schillers Witwe, Charlotte, gewonnen werden, die im Besitz von Goethes Briefen an Schiller war. Komplizierte Verhandlungen zogen sich hin, bei denen es vor allem um das Honorar ging. Man einigte sich schließlich mit den Schillerschen Erben (Charlotte war inzwischen verstorben) auf eine hälftige Teilung der Tantiemen, wie Goethe es von Anfang an vorgeschlagen hatte. Nach vielem Hin und Her konnte endlich die Ausgabe 1828 und 1829 in sechs Oktavbänden bei Cotta erscheinen.
In diesem Jahr, als Goethe die Edition des Briefwechsels vorbereitete, war ihm der Freund von einst wieder sehr nahe, fast noch näher, als je zu Lebzeiten. Eckermann schildert eine Szene, wie man beisammensitzt: Auf dem Tisch liegt das Briefkonvolut, Goethe liest daraus vor, unterbricht die Lektüre, gießt Wein ein, läßt das Abendessen auftragen, rührt aber keinen Bissen an, geht im Zimmer herum, schwelgt in Erinnerungen. »Das Andenken Schillers«, so Eckermann, »war in ihm so lebendig, daß die Gespräche 〈...〉 nur ihm gewidmet waren.« Und so läßt er sich aus über Schillers Kühnheit, ja über seinen
Sinn für das Grausame
, etwa als er den Herzog Alba zum Zeugen für Egmonts Todesangst machen wollte; über seine Wandlungsfähigkeit,
Alle acht Tage war er ein Anderer und ein Vollendeterer
; über seinen Sinn für Größe,
ja wenn Schiller sich die Nägel beschnitt, war er größer als diese Herren
. So geht das fort, des Rühmens ist kein Ende. Selbstverständlich kommt auch Kritisches zur Sprache, Schiller habe Raubbau an seinen Kräften betrieben, er war im Theoretischen stark, aber vielleicht auch zu stark. Und überhaupt: Hat man nicht zu viel Zeit damit verschwendet, über das Poetische nachzudenken statt frisch und fromm sich dem Poetischen hinzugeben? Fragen, Fragen. Doch es bleibt das Gefühl von Aufschwung und Belebung, wenn er an Schiller denkt.
In diesen Jahren wuchs Schiller im Geiste Goethes zu solcher Größe empor, daß er im »Faust II« den Freund im Bilde des Herkules verherrlichte.
Von Herkules willst nichts erwähnen?,
fragt Faust den Chiron in der Klassischen Walpurgisnacht, und der antwortet:
O weh! errege nicht mein Sehnen ... /
〈...〉
Da sah ich mir vor Augen stehn / Was alle Menschen göttlich preisen. // So war er ein geborner König
. Diese Huldigung paßt zu Goethes Bemerkung:
Schiller erscheint
〈...〉
im absoluten Besitz seiner erhabenen Natur.
In einem seiner letzten Briefe an Zelter sprach Goethe sogar von der
Christus-Tendenz
, die Schiller eingeboren gewesen sei,
er berührte nichts Gemeines ohne es zu veredeln
.
In diese Zeit gehört auch die bizarre Episode um Schillers Schädel. Schillers sterbliche Überreste sollten nach zwanzig Jahren 1826 in die Fürstengruft umgebettet werden. Schillers (vermeintlicher) Schädel wurde zeitweilig in der Herzoglichen Bibliothek deponiert; von dort nahm Goethe ihn unerlaubterweise zu sich nach Hause mit, wo er ihn ein Jahr lang bis Ende 1827 in seinem Arbeitszimmer aufbewahrte. Das ist erstaunlich genug, da Goethe jede Art von Todeskult verhaßt war. Die
Paraden des Todes
seien ihm zuwider, sagte er. Ausgerechnet
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