Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Tüchtigkeit, die aus den gegenstrebigen Tendenzen von metaphysischem Bedürfnis und Willen zur Diesseitigkeit entspringt und am Ende den Triumph davontragen soll:
Wer immer strebend sich bemüht, / Den können wir erlösen.
Doch so uneingeschränkt positiv erscheint diese Tüchtigkeit doch nicht, gerade weil Mephisto zu ihren Voraussetzungen gehört. Mephisto verkörpert nicht nur das aufreizende Prinzip der Verneinung und den hemmungslosen Willen zur Diesseitigkeit, sondern auch die gelegentlich verhängnisvollen Folgen dieser Tüchtigkeit. Diesen mephistophelischen Anteil an der Tüchtigkeit hat Goethe bei anderer Gelegenheit bekanntlich so formuliert:
Der Handelnde ist immer gewissenlos, es hat niemand Gewissen als der Betrachtende.
Im letzten Akt möchte der Großunternehmer Faust seinen Besitz arrondieren. Da gibt es aber noch eine kleine Kapelle und das Häuschen von Philemon und Baucis.
Mein Hochbesitz er ist nicht rein
, sagt Faust, und die Gehilfen des Mephisto sind sofort zur Stelle, um die Flurbereinigung gewaltsam zu erledigen. Kapelle und Hütte gehen in Flammen auf, und die beiden Alten kommen darin um. Ist Faust durch sein tätiges Streben gerechtfertigt, ist er mit jenem Satz aus dem »Prolog im Himmel« –
Es irrt der Mensch solang er strebt
– entschuldigt? Nein, Faust nimmt daran Anstoß, daß es in seinem riesigen Besitz und Herrschaftsbereich einen winzigen blinden Fleck gibt, worüber er noch nicht verfügt. Ein penetranter Rest, der dem totalen Herrschaftswillen trotzt. Und je totaler die Ansprüche sind, um so penetranter wirken die resistenten Reste.
Die wenig Bäume, nicht mein eigen, / Verderben mir den Welt-Besitz
. Faust ist es müde,
gerecht zu sein
und möchte kurzen Prozeß machen. Er beauftragt Mephisto:
So geht und schafft sie mir zur Seite!
Mephisto
pfeift gellend
und seine Mordgesellen treten auf, die Philemon und Baucis verbrennen werden. Eine grausige Szene, auf die möglicherweise Paul Celan in seiner »Todesfuge« anspielt. Faust, der den Tod bringt, ist eben auch ein Meister aus Deutschland, der »tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne er pfeift seine Rüden herbei / er 〈...〉 läßt schaufeln ein Grab in der Erde«.
Goethe hat nicht die hellen und die dunklen Seiten säuberlich auf Faust und Mephisto aufgeteilt in dem Sinne etwa, daß Faust das Gute meint und Mephisto daraus das Böse macht. So verhält es sich nicht. Die Beziehung zwischen den beiden ist eher von der Art, wie es Heinrich Heine im »Wintermärchen« schildert am Beispiel eines schattenhaften Gesellen, der dem Protagonisten folgt. Zur Rede gestellt, erklärt der mit einem Richtbeil bewehrte Schatten: »was du ersonnen im Geist, / Das führ ich aus, das tu ich. 〈...〉 ich bin / Die Tat von deinem Gedanken«. Ebenso ist auch Mephisto die Tat von Fausts Gedanken. Fausts Tüchtigkeit wirft einen Schatten, und Mephisto ist dieser Schatten. Er macht die Verstrickung des Tüchtigen und Erfolgreichen in Schuldzusammenhänge sinnfällig. Von der Gretchentragödie bis zu Philemon und Baucis. Goethes Weltspiel zeigt, wie über längere oder kürzere Kausalreihen das gelingende Leben hier die Zerstörung von Leben dort zur Folge hat. Es geht nicht gerecht zu in der Welt, und für die Weltkarriere Fausts gilt: Leichen pflastern seinen Weg. Wenn die Kausalreihen zwischen der Tat hier und ihrer Wirkung als Untat dort kurz sind, sprechen wir von Schuld; sind sie etwas länger, ist von Tragik die Rede; Schuld und Tragik können, bei noch längeren Verursachungsketten, sich zu bloßem Unbehagen verdünnen. Solchem Unbehagen wird sich keiner entziehen können, dem bewußt geworden ist, daß er, ob er will oder nicht, ein Überlebender ist, der davon lebt, daß andere Not leiden und sterben. Mephisto, der erstens zum Weltkonsum anstachelt, verkörpert zweitens diesen abgründigen Schuldzusammenhang der Welt, dieses fatale Umschlagen einer Tat in eine Untat, sei es auf kurzen oder auf langen Wegen.
Goethe sagte einmal, er habe kein Talent fürs Tragische, seine Natur sei zu ausgleichend. Er nennt sein Stück eine »Tragödie«, läßt es aber mit der Erlösung Fausts enden und versetzt ihn am Anfang des zweiten Teils, nach der Gretchentragödie, in einen Heilschlaf, einen Schlaf des Vergessens, der manchen Faust-Interpreten seitdem den Schlaf raubt. Was bedeutet Vergessen? Vergessen ist die Kunst, dort neue Anfänge zu finden, wo eigentlich keine sind. Goethe war ein Meister solcher neuen Anfänge. Wenn Faust im
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