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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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sein. Subtile Seelenregungen und diffizile mathematische Probleme forderten ihn heraus. Er liebte die Musik, und auch sie lernte er, wie es seine Art war, von der Pike auf. Er studierte beim Hofkomponisten Karl Friedrich Christian Fasch, dem Musiklehrer Friedrichs des Großen, das Handwerk des Komponierens. Im Sommer machte er sich morgens um drei Uhr zu Fuß auf den Weg zu Fasch nach Potsdam hinaus, um dann mittags wieder auf seiner Baustelle in Berlin zu sein. Zelter trat seit den neunziger Jahren vor allem mit Lieder- und Chorkompositionen hervor, und es war nicht verwunderlich, daß boshafte Geister, wie etwa die Schlegels, über den komponierenden Maurermeister spotteten. Doch Sottisen von neidischen intellektuellen Hungerleidern konnten diesen kraftvollen Menschen nicht beirren. Er war 1791 maßgeblich beteiligt an der Gründung der Singakademie in Berlin, die bald zu einer führenden bürgerlichen Musikinstitution in Deutschland wurde, das Vorbild auch für zahlreiche Neugründungen anderer Liedertafeln und Männergesangsvereine. Zelter hat viel dafür getan, daß Deutschland im 19. Jahrhundert auch eine singende Nation wurde.
    Zelter war zehn Jahre jünger als Goethe, er bewunderte den Dichter zunächst aus der Ferne, vertonte einige seiner Lieder und wurde dafür von Goethe sehr gelobt –
wenn meine Lieder Sie zu Melodien veranlaßten, so kann ich wohl sagen daß Ihre Melodien mich zu manchem Liede aufgeweckt haben
– aus der Bewunderung wurde herzliche Ehrerbietung, schließlich kam man sich persönlich näher, auch Goethe wünschte es, bald verkehrten die beiden mit zunehmendem gegenseitigen Vertrauen und ließen einander teilhaben auch an den Alltagssorgen und -freuden. Keinem anderen hat Goethe in den letzten zwanzig Jahren sich so vorbehaltlos geöffnet wie Zelter gegenüber. Das Gönnerhafte auf seiner Seite verschwand vollständig, und nicht selten war es jetzt Zelter, der dem Freund mit Rat und Tat zur Seite stand. Die reiche Lebenserfahrung hat ihn nicht bitter gemacht, er blieb neugierig, ließ sich begeistern und war immer bereit zu lernen. Nicht genialisch, aber solide ging er zu Werk, als Hausvater, als Bauunternehmer, als Komponist, Organisator des Musiklebens und als zeitweiliges Mitglied der Stadtregierung. Zelter war ein Mensch nach dem Herzen Goethes. Immer tätig und nach außen wirkend, in sich gesammelt und dabei vielseitig.
    Während mit anderen der Briefwechsel oft stockte oder ganz versiegte, wurde im Verkehr mit Zelter die Folge der Briefe immer dichter, und Goethe konnte nicht genug davon bekommen. Einmal schrieb er an ihn:
Leben Sie wohl und sagen mir bald wieder etwas, daß nicht so lange Pausen entstehen. Man pausiert sich sonst einmal unversehens ins ewige Leben hinein.
    Ein wichtiges Datum in der Geschichte dieser Freundschaft war der November 1812. Der verzweifelte Zelter unterrichtete den Freund über den Selbstmord seines Stiefsohns, der ihm zuvor zwar Sorgen bereitet, in den er aber doch große Hoffnungen gesetzt hatte. »Sagen Sie mir ein heilendes Wort. Ich muß mich aufrichten, doch bin ich nicht mehr was ich vor Jahren war«, schrieb er. Darauf antwortet Goethe, indem er plötzlich zum ›Du‹ übergeht:
Dein Brief, mein geliebter Freund, der mir das große Unheil meldet, welches Deinem Hause widerfahren, hat mich sehr gedrückt, ja gebeugt, denn er traf mich in sehr ernsten Betrachtungen über das Leben, und ich habe mich nur an Dir selbst wieder aufgerichtet
. Er schildert dem Freund die eigenen Selbstmordanwandlungen – im Zusammenhang mit dem »Werther« war davon schon im neunten Kapitel die Rede – das
taedium vitae
habe er sehr wohl gekannt, doch immer wieder habe er sich durch Tätigkeit vor dem gänzlichen
Schiffbruch
bewahrt. Und dann folgen jene wunderbaren Worte abgründiger Heiterkeit:
Und so sind nun alle die Schiffer und Fischergeschichten. Man gewinnt nach dem nächtlichen Sturm das Ufer wieder, der Durchnetzte trocknet sich, und den andern Morgen, wenn die herrliche Sonne auf den glänzenden Wogen abermals hervortritt, hat das Meer schon wieder Appetit zu Feigen.
    Zelter, der hier getröstet wird, konnte seinerseits auch Trost spenden. Zum Tode von Goethes Sohn 1830 schrieb er ihm:
Unsere Brüderschaft mein Guter bewährt sich ernsthaft genug. Müssen wir das erleben und still halten und schweigen! – Ja! wir sollen mit eigenen Augen dicht an uns heran zusammenstürzen sehn, was nicht Teil hat an uns. Das ist der einzige Trost.
    Der erste Besuch

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