Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
1775 in Johann Georg Jacobis Zeitschrift »Iris« veröffentlicht wurden, erscheint Goethe jünger als in den früheren Gedichten aus der Leipziger Zeit. Es waren Gelegenheitsgedichte, im emphatischen Sinn. Sie waren zunächst wirklich nur an Friederike gerichtet. Er schickte sie ihr von Straßburg aus, manche hat er wohl auch vor Ort in Sesenheim mit leichter Hand, improvisierend, wie es seine Art war, zu Papier gebracht. Manche waren auch wirklich dafür bestimmt, augenblicklich gesungen zu werden, das »Maifest« zum Beispiel:
Wie herrlich leuchtet / Mir die Natur! / Wie glänzt die Sonne! / Wie lacht die Flur! //
〈...〉
// Du segnest herrlich / Das frische Feld, / Im Blütendampfe / Die volle Welt! // O Mädchen Mädchen, / Wie lieb’ ich dich! / Wie blinkt dein Auge! / Wie liebst du mich!
Im Winter 1770/71 war man getrennt. Der Liebhaber blickt zurück auf die erste Begegnung, die ersten gemeinsamen Pfänderspiele:
Jetzt fühlt der Engel, was ich fühle, / Ihr Herz gewann ich mir beim Spiele / Und sie ist nun von Herzen mein / Du gabst mir Schicksal diese Freude / Nun laß auch Morgen sein wie heute / Und lehr mich ihrer würdig sein.
Er hatte für das Frühjahr 1771 seinen nächsten Besuch angekündigt, und Friederike wird ihn öfters brieflich daran erinnert haben.
Ich komme bald, ihr goldnen Kinder, / Vergebens sperret uns der Winter / In unsre warme Stuben ein / Wir wollen uns zum Feuer setzen / Und tausendfaltig uns ergötzen / Uns lieben wie die Engelein / Wir wollen kleine Kränzchen winden / Wir wollen kleine Sträußchen binden / Und wie die kleinen Kinder sein
. Als der Frühling naht, schickt er ihr ein bemaltes Band mit dem beigelegten Gedicht, das wieder ein wenig anakreontisch klingt:
Kleine Blumen, Kleine Blätter / Streuen mir mit leichter Hand / Gute junge FrühlingsGötter / Tandlent auf ein luftig Band // Zephier nimm’s auf deine Flügel / Schling ’s um meiner Liebsten Kleid.
Man wüßte gerne, wann genau das berühmte Gedicht, das in der späteren Fassung 1789 bzw. 1810 die Überschrift »Willkommen und Abschied« trägt, entstanden ist, denn es verknüpft so innig Begegnung und Abschied.
Mir schlug das Herz; geschwind, zu Pferde,
Und fort, wild, wie ein Held zur Schlacht!
Der Abend wiegte schon die Erde,
Und an den Bergen hing die Nacht;
Schon stund im Nebelkleid die Eiche,
Ein aufgetürmter Riese, da,
Wo Finsternis aus dem Gesträuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.
Der Mond von seinem Wolkenhügel,
Schien kläglich aus dem Duft hervor;
Die Winde schwangen leise Flügel,
Umsausten schauerlich mein Ohr;
Die Nacht schuf tausend Ungeheuer –
Doch tausendfacher war mein Mut;
Mein Geist war ein verzehrend Feuer,
Mein ganzes Herz zerfloß in Glut.
Ich sah dich, und die milde Freude
Floß aus dem süßen Blick auf mich.
Ganz war mein Herz an deiner Seite,
Und jeder Atemzug für dich.
Ein rosenfarbes Frühlings Wetter
Lag auf dem lieblichen Gesicht,
Und Zärtlichkeit für mich, ihr Götter!
Ich hofft’ es, ich verdient’ es nicht.
Der Abschied, wie bedrängt, wie trübe!
Aus deinen Blicken sprach dein Herz.
In deinen Küssen, welche Liebe,
O welche Wonne, welcher Schmerz!
Du gingst, ich stund und sah zur Erden,
Und sah dir nach mit nassem Blick;
Und doch, welch Glück! geliebt zu werden,
Und lieben, Götter, welch ein Glück.
Fast neun Jahre später, während der zweiten Reise in die Schweiz, wird Goethe Ende September 1779 die Familie Brion in Sesenheim besuchen. Er bekommt die Kutsche zu sehen, die er damals mit geringem Erfolg neu angemalt hatte, er findet die Abschriften der Lieder, die er
gestiftet
hatte, die Nachbarn werden herbeigerufen, der Barbier, der ihn immer rasiert hat. Bei allen findet er, wie er mit einiger Genugtuung schreibt, ein lebhaftes
Andenken
. Er verließ Sesenheim nach diesem zweiten Besuch mit dem Gefühl, daß er nun wieder
mit
Zufriedenheit in das Eckchen der Welt hindenken, und in Friede mit den Geistern dieser ausgesöhnten in mir leben kann.
Ob es wirklich so war, muß dahingestellt bleiben. Nach dem Tode Friederikes, welche die letzten Jahre unverheiratet bei ihr gelebt hatte, verbrannte deren Schwester die Briefe Goethes.
Goethe legte es, wie schon in Leipzig, nicht darauf an, sein Studium schnell abzuschließen. Es gefiel ihm in Straßburg. Es war nicht nur die Sesenheimer Liebesgeschichte, es war nicht nur Herder, es war auch die schöne Landschaft und die angenehme Lebensart, die ihn festhielten. Ursprünglich
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