Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
〈Goethe〉 nicht«, heißt es in Jung-Stillings Lebensbeschreibung, »auch solche Männer herzlich zu lieben, die freier dachten als er, wenn sie nur keine Spötter waren.«
Zur Tafelrunde bei der Mamsell Lauth gehörten auch Johann Konrad Engelbach und Friedrich Leopold Weyland, mit denen Goethe zu Pferde Ausflüge in die weitere Umgebung unternahm. Engelbach war nach Straßburg gekommen, um möglichst schnell ein noch ausstehendes juristisches Examen abzulegen, wie Goethe, und war, anders als Goethe, bereits nach fünf Wochen im Juni 1770 damit fertig und überließ seine Kollegienhefte dem um einige Jahre jüngeren Kommilitonen zum Einpauken. Goethe und Weyland begleiteten Engelbach bei seiner Heimkehr nach Saarbrücken. Diese Reise führte Goethe nach Sesenheim, wo sich die Liebesgeschichte mit Friederike Brion anspann. Weyland war weitläufig verwandt mit der Familie und führte Goethe dort ein. Er studierte Medizin und praktizierte später in Frankfurt. Er hat Goethe sein Verhalten Friederike gegenüber nie verziehen und jede Verbindung mit ihm gemieden.
Die Sesenheimer Idylle. Goethe erzählt sie in »Dichtung und Wahrheit« als eine in sich abgeschlossene Novelle, die ahnen läßt, daß sie so idyllisch doch auch nicht war, eben weil sie ein dissonantes Ende hatte. Der Liebhaber verläßt die Geliebte, und der Abschied war vielleicht anders als in dem Gedicht vom Frühjahr 1771:
Du gingst, ich stund, und sah zur Erden, / Und sah dir nach mit nassem Blick;
oder andersherum, wie in der späteren Fassung:
Ich ging, du standst und sahst zur Erden / Und sahst mir nach mit nassem Blick.
»Dichtung und Wahrheit« vermerkt über das Ende der Idylle lakonisch:
Es waren peinliche Tage, deren Erinnerung mir nicht geblieben ist.
Es ist nicht nötig, diese schöne Geschichte, die Goethe in »Dichtung und Wahrheit« erzählt, im Einzelnen nachzuerzählen, nur einige Aspekte seien festgehalten. Goethe kam mit Weyland an einem heiteren Sommertag in Sesenheim an, als armer Theologiestudent verkleidet. Er liebte die Maskerade, das Inkognito, das Versteckspiel, auch später bei der Harzreise oder bei der Italienischen Reise.
Bei den Brions trat er sogar in wechselnder Verkleidung auf, zuerst gab er den armen Theologiestudenten. Als er nach dem ersten gemeinsamen Spaziergang mit Friederike im Mondschein seine Verliebtheit bemerkte, floh er am anderen Morgen aus dem Haus und nahm im Nachbardorf die Verkleidung als der Dorfbursche Georg an. Das bewirkte einige zusätzliche Verwirrung. Die Romanze mit Friederike war nun in voller Entwicklung, Pfänderspiele, heitere Geselligkeit, Spaziergänge, schwüle Sommertage und sternfunkelnde Nächte halfen dabei. Die Eltern merkten, daß sich da etwas anspann und waren bereit, die beiden
in so schwebenden Zuständen eine Weile hinwalten zu lassen
. Der Vater Brion besprach mit dem Besucher seine Pläne zum Umbau des Pfarrhauses, was Goethe an die Bauleidenschaft des eigenen Vaters erinnerte. So gingen die vergnügten Tage hin. Friederikes erster Auftritt:
In diesem Augenblick trat sie wirklich in die Türe; und da ging fürwahr an diesem ländlichen Himmel ein allerliebster Stern auf.
Der Verliebte über Friederike:
Ihr Wesen, ihre Gestalt trat niemals reizender hervor, als wenn sie sich auf einem erhöhten Fußpfad hinbewegte; die Anmut ihres Betragens schien mit der beblümten Erde, und die unverwüstliche Heiterkeit ihres Antlitzes mit dem blauen Himmel zu wetteifern
. Das Ende kündigt sich an:
Eine solche jugendliche, aufs Geratewohl gehegte Neigung ist der nächtlich geworfenen Bombe zu vergleichen, die in einer sanften, glänzenden Linie aufsteigt, sich unter die Sterne mischt, ja einen Augenblick unter ihnen zu verweilen scheint, alsdann aber abwärts, zwar wieder dieselbe Bahn, nur umgekehrt, bezeichnet, und zuletzt da, wo sie ihren Lauf geendet, Verderben hinbringt.
Warum eigentlich dieses Ende, warum hält der Liebhaber nicht, was er versprochen zu haben scheint, wenn auch nicht ausdrücklich, so doch durch sein Verhalten?
Die Ursachen eines Mädchens, das sich zurückzieht, scheinen immer gültig, die des Mannes niemals
, heißt es in »Dichtung und Wahrheit«.
Goethe stellt die Geschichte im Rückblick so dar, als wäre ihm bei ihrem Anfang bereits klar gewesen, daß
frühzeitige Neigungen sich keinen dauerhaften Erfolg versprechen dürfen
. Ist das nicht eine Projektion der späteren Besonnenheit in die jugendlichen Liebesanfänge? Doch man erinnere sich daran, daß
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