Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
der junge Goethe in einem Brief an den Schulfreund Moors über seine Liebe zu Kätchen Schönkopf geschrieben hatte:
Das fürtreffliche Herz meiner S. ist mir Bürge, daß sie mich nie verlassen wird, als dann wenn es uns Pflicht und Notwendigkeit gebieten werden uns zu trennen
. Auch damals also war der Gefühlssturm der Verliebtheit unterlegt mit nüchterner, realistischer Bewußtheit: die Geschichte, die ich soeben erlebe und in die ich mich hineinsteigere, wird der Realitätsprüfung nicht standhalten. Der übliche Lauf der Dinge wird uns trennen, und das ist vielleicht gut so ... Der junge Mann scheint sich dessen gewiß zu sein, daß er sich noch nicht auf Dauer binden möchte. So war es bei Kätchen, und so war es offenbar auch in der Beziehung zu Friederike.
Es gibt nur wenige unmittelbare Zeugnisse dieser Liebesgeschichte. Ein Briefkonzept Goethes an Friederike hat sich erhalten und einige Briefe an Salzmann, geschrieben im Frühsommer 1771 während des mehrwöchigen Aufenthalts im Pfarrhaus von Sesenheim. Das ist zusammen mit den Gedichten, die an Friederike gingen, alles.
In diesen Zeugnissen zeigen sich heftige Gefühlsschwankungen des Verliebten. Einmal vergleicht er sich mit einer
Wetterfahne
, die sich je nach Windrichtung dreht. Die Welt ist ihm
so schön
〈...〉
als ich sie lang nicht gesehen habe
. Dann ein jäher Wechsel. Er fühlt,
daß man um kein Haar glücklicher ist wenn man erlangt was man wünschte
. Er hat Friederike erobert, aber es befriedigt ihn nicht mehr. Friederike wird es vielleicht gemerkt haben, denn
die Kleine fährt fort traurig krank zu sein, und das gibt dem Ganzen ein schiefes Ansehn
. Es folgt die verräterische Bemerkung:
Nicht gerechnet conscia mens, leider nicht recti, die mit mir herumgeht
, eine Anspielung auf eine Stelle aus Vergils »Aeneis«, wo geschildert wird, wie Aeneas Dido in sich verliebt macht und doch weiß, daß er sie verlassen wird und darum kein reines Gewissen haben kann. Offenbar weiß Goethe zu diesem Zeitpunkt auch, daß er Friederike verlassen wird, sie aber weiß es noch nicht. Zwei Jahre später wird Goethe an Salzmann seinen »Götz« schicken und um Weiterleitung an Friederike bitten, mit der Bemerkung, es werde ihr ein Trost sein, daß Weislings Untreue gegenüber Maria im Stück gerächt werde.
Im Mummenschanz der Verkleidung zeigte sich Goethes Geschick, eine
doppelte Rolle
zu spielen, eine
wirkliche und eine ideelle
. Es ist der Wunsch, ein Leben zu führen nach der Literatur, die prägnanter und bedeutungsvoller sein kann als das Leben selbst. Dieses Verfahren der Literarisierung des Lebens,
der
jugendliche Trieb, sich mit Romanfiguren zu vergleichen
, gehört für ihn unter
die läßlichsten Versuche, sich etwas Höheres anzubilden.
In »Dichtung und Wahrheit« gesteht er, daß er die ganze Sesenheim-Episode nicht nur nach dem Muster des Romans »Der Pfarrer von Wakefield« von Oliver Goldsmith dargestellt habe, sondern manche Situationen damals schon im Lichte dieses Romans gelebt hatte, den ungefähr zur selben Zeit Herder ihm und einigen Freunden so hinreißend vorlas. Als er Sesenheim und die Pfarrersfamilie kennen lernte, sei es ihm so vorgekommen, als würde er
aus dieser fingierten Welt in eine ähnliche wirkliche versetzt
werden. Die Pfarrersfamilie, ihr inniger Zusammenhalt und vor allem die Mutter und die Töchter kamen ihm ebenso aufrichtig, heiter, schlicht und klug vor wie im Roman, wenn auch gottlob nicht so leidgeprüft. Und auch im Roman gibt es eine Maskerade. Der Wohltäter der Familie, der Onkel des schurkischen Grundherrn, verbirgt sich hinter der Gestalt des kauzigen Mister Burschell. Mag sein, daß der junge Goethe auch dadurch auf die Idee der Verkleidungskomödie kam. Als Wohltäter dieser Familie hätte er sich gerne auch gesehen. Aber das war er, nachdem er Friederike verlassen hatte, nun wirklich nicht. Nur seine Gedichte bleiben als stiller Glanz zurück, von Friederike getreulich aufbewahrt.
In diesen Gedichten ist Goethe als Lyriker erst richtig zur Welt gekommen, frei vom Rokoko und der Anakreontik der Leipziger Jahre, kein tändelnd-konventioneller Ton mehr, keine überklugen Maximen und keine Lehrhaftigkeit, keine Stereotypen des Schmachtens und Schäkerns. Herders Einfluß ist zu spüren: Natürlichkeit, subjektive Ausdruckskraft, unbekümmerte Lust sich auszusingen, Nachdenklichkeit ohne Gedankenblässe, Einfachheit, ungekünstelte Symbolik. In den Sesenheimer Liedern, von denen einige zum ersten Mal
Weitere Kostenlose Bücher