Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Schwester sehr wichtig. Ihr hatte er zuvor so ausführlich von seinem Vorhaben erzählt, daß Cornelia schließlich ungeduldig wurde und ihn drängte,
mich nur
nicht immer mit Worten in die Luft zu ergehn, sondern endlich einmal das was mir so gegenwärtig wäre, auf das Papier festzubringen.
Er fängt also an, mit Schwung und Tempo. Abends las er ihr das Geschriebene vor. Sie spendete Beifall, äußerte aber auch Zweifel an der Beharrlichkeit des Bruders. Wird er das Stück wirklich zu Ende bringen? Diese Zweifel fordern ihn zusätzlich heraus. Jetzt muß er ihr – und sich selbst – etwas beweisen, indem er den »Götz« vorantreibt;
und so hielt ich mich ununterbrochen ans Werk, das ich geradewegs verfolgte, ohne weder rückwärts, noch rechts, noch links zu sehn, und in etwa sechs Wochen hatte ich das Vergnügen, das Manuskript geheftet zu erblicken.
Daß er weder
rückwärts, noch rechts, noch links
gesehen habe, bedeutet, neben dem Arbeitsfleiß, auch, daß er sich nicht um die konventionellen ästhetischen Regeln der Einheit von Ort, Zeit und Handlung kümmerte. In bunter, eher episch angelegter Szenenfolge wechseln die Orte und Schauplätze: das Wirtshaus, der Wald, die Burg des Götz, der bischöfliche Palast in Bamberg, das Soldatenlager, das Rathaus von Heilbronn, der Reichstag in Augsburg, ein Zigeunerlager, das Femegericht. Die Zeit ist diskontinuierlich, mal gedrängt, dann gedehnt, mit Sprüngen. Legt man die Lebensstationen des wirklichen Götz zugrunde, umfassen die dargestellten Geschehnisse mehrere Jahrzehnte. Das zeigt sich bei Georg, der im Verlauf des Stückes vom Knaben zum jungen Mann und Knappen des Götz heranwächst. Die Haupthandlung, das Gegeneinander von Götz und Weislingen, ist verwoben mit zahlreichen Nebenhandlungen, die teils dargestellt, teils auch nur erzählt werden. Goethe überließ sich zunächst seiner
Einbildungskraft
, die sich an einzelnen Konstellationen und Charakteren entfaltete, noch unbekümmert um die Einheit des Ganzen. So kommt es, daß die Geschichte mehrere Schwerpunkte, aber keinen eigentlichen Höhepunkt hat.
Zwischen Götz und Weislingen gibt es gleich drei Wendepunkte: Zu Anfang wird Adelbert von Weislingen, einst ein Jugendfreund, jetzt ein Gegenspieler am Hofe des Bischofs von Bamberg, von den Gefolgsleuten des Götz gefangen genommen. Götz behandelt ihn freundlich und wirbt um ihn, mit Erfolg. Weislingen wechselt die Seite, verbindet sich mit Maria, Götzens Schwester. Die erste Wende. Zurückgekehrt nach Bamberg, erliegt er der verführerischen Adelhaid. Die zweite Wende. Als Götz mit den aufrührerischen Bauern gemeinsame Sache macht, ist Weislingen der Scharfmacher und soll das Todesurteil gegen Götz vollstrecken lassen. Doch nach einer Unterredung mit Maria zieht er es zurück. Das ist die dritte Wende, die aber für ihn zu spät kommt, denn Adelhaid, die es inzwischen auf den Thronfolger abgesehen hat, läßt ihn vergiften. Sie spricht das Urteil über ihn:
Du bist von jeher der Elenden einer gewesen, die weder zum Bösen noch zum Guten einige Kraft haben
.
Das gilt von Adelhaid nicht. Sie lebt aus dem Zauber ihrer erotischen Anziehungskraft, die sie bedenkenlos für ihre machtpolitischen und ökonomischen Zwecke einsetzt. Die schöne Witwe fängt die Männer ein. Zuerst Weislingen. Dann dessen Diener Franz. Sogar Sickingen, ein Mitstreiter von Götz, verfällt ihren Reizen, wenigstens für eine Nacht:
Ein Fehler der mich zu einem Gott machte
. Am Ende wird sie vor das Femegericht gezogen. Ihr Henker ersticht sie mit den Worten:
Gott machtest du sie so schön, und konntest du sie nicht gut machen
.
Was man erst auf den zweiten Blick bemerkt: eigentlich sind es die wechselnden Paarbildungen, welche die Handlung des Stückes vorantreiben. Weislingen wird zu Götz zurückgebracht durch Maria. Diese Bindung löst sich, weil Weislingen der stärkeren Attraktion durch Adelhaid erliegt. Die verlassene Maria zieht Sickingen an, aber nicht für lange, denn als Adelhaid Weislingen abstößt, gerät Sickingen in ihren Bann. In diesem Spiel der wechselnden Paarbildungen ist Maria die Verliererin. Sie kann weder Weislingen noch Sickingen festhalten und verliert beide an Adelhaid.
Es ist wohl nicht ohne Bedeutung, daß Goethe gerade Maria, Götzens Schwester, zur erotischen Verliererin machte. Denn die eigene Schwester, die ihm bei der Arbeit am Stück so sehr geholfen hatte, war in seinen Augen ebenfalls eine erotische Verliererin.
Er hat das später in
Weitere Kostenlose Bücher