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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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zählt, der kraftvolle Kerl, der sich selbst seiner Haut wehren kann und der seine Souveränität noch nicht an Institutionen abgetreten hat, wodurch man zwar an Sicherheit gewinnt, aber eben auch verzwergt wird. Götz ist von Goethe als das Gegenbild zu einer Moderne entworfen, von der Schiller so treffend gesagt hat, daß sie den Menschen verkleinere um dann Großes mit ihm anzustellen: Die Gattung gewinnt, während der Einzelne verliert. Götz ist also der große Einzelne, doch dem Untergang geweiht.
    In Justus Mösers »Patriotischen Phantasien« hatte Goethe eine Verteidigung des alten Faustrechtes gefunden, die ihm sofort einleuchtete, weil sie Befreiung aus dem juristischen Gestrüpp versprach, das den Studenten der Jurisprudenz plagte. Vom Faustrecht, das er als entlastend empfand, kam er zu Götz, der ihm eben deswegen sympathisch war, weil er sich noch nicht der Verzwergung unterworfen hatte, sondern, wie es im Stück heißt,
niemand als dem Kaiser untertan
war. Das Ärgerliche doch wohl auch Unvermeidliche ist: Zwischen die höchsten Instanzen – Gott, Kaiser – und die eigene Person schiebt sich der Gesellschaftsmechanismus mit seinen Komplikationen und neuen Unübersichtlichkeiten. Götz verachtet dieses Unwesen, er wird aber daran scheitern – und doch fühlt er sich noch in der Niederlage unabhängig. Die Gesellschaft kann ihn zerstören, nicht aber verwandeln. Er bleibt sich selbst treu. So sieht Goethe seinen Ritter mit der eisernen Faust, und so wollte er vielleicht auch selbst sein.
    Auch die Lektüre Shakespeares hatte bei Goethe, wie die zeitgleich mit dem »Götz« verfaßte Shakespeare-Rede bezeugt, Sympathien geweckt für solche Einzelgänger von
Kollosalischer Größe
, für scheiternde Heroen der Selbstherrlichkeit. Mit seinem »Götz« wollte er, wie Shakespeare, den
geheimen Punkt
treffen,
in dem das Eigentümliche unsres Ichs, die prätendierte Freiheit unsres Wollens, mit dem notwendigen Gang des Ganzen zusammenstößt.
    Götz ist kein Freiheitsheld von der Art, wie er später bei Schiller, etwa in der Figur des Marquis Posa im »Don Karlos«, auf der Bühne erscheinen wird. Da tritt nicht jemand auf, der Freiheit politisch fordert, sondern jemand der seine Freiheit vorlebt. Freiheit ist bei Götz nicht primär eine Angelegenheit des Bewußtseins, sondern des Seins.
    An diesem freien Sein möchte der junge Autor partizipieren, indem er darüber schreibt:
Von Verdiensten die wir zu schätzen wissen, haben wir den Keim in uns
. Im Schreiben entfaltet sich ihm eine Welt, in deren Sog er gerät. Er läßt sein Wunsch-Ich in einem imaginären Raum agieren, mit dem begleitenden Gefühl einer Ausweitung ohnegleichen:
ich fühlte aufs lebhafteste meine Existenz um eine Unendlichkeit erweitert
. Das kann auch nicht anders sein, da doch auch die Gegenwelt, an der Götz scheitern wird, ein Entwurf aus der Machtvollkommenheit das Autors ist. Zu dieser Gegenwelt gehört beispielsweise Adelbert von Weislingen, der Maria, die Schwester von Götz, verläßt und die Seite wechselt. Auch er hat etwas vom Autor, der seine Friederike verlassen hat. Und was die attraktive Adelhaid betrifft, die gegen Götz intrigiert, so gesteht Goethe, daß er sich selbst in sie geradezu
verliebt
habe. Wenn sich ihm also die Existenz
um eine Unendlichkeit erweitert
, so ist die dem Götz feindliche Wirklichkeit durchaus einbezogen. Die Phantasie des Autors lebt in Götz und überschreitet zugleich die Grenzen, die ihm gesetzt sind. Als Autor des kleinen Welttheaters beherrscht er auch den
notwendigen Gang des Ganzen
, dem Götz unterliegt. Am Beispiel Shakespeares hatte der junge Goethe verstanden, was einen großen Dramatiker auszeichnet: er identifiziert sich nicht nur mit seiner Hauptfigur, sondern läßt allen ein Lebensrecht zuteil werden. Die Gegenspieler sind nicht nur des Kontrastes wegen da. So erst kann das Theater zu jenem
Raritäten Kasten
werden,
in dem die Geschichte der Welt vor unsern Augen an dem unsichtbaren Faden der Zeit vorbeiwallt
.
    Die Shakespeare-Nachfolge ist ein ehrgeiziges Vorhaben. Der junge Goethe traut sich einiges zu. An Salzmann in Straßburg schreibt er: Damit seine Wirksamkeit nicht
in sich selbst summen muß
, werfe er seinen
Genius
auf die Arbeit an diesem Stück. Dabei könne er
alle Stärke die ich in mir selbst fühle
genießen. Mit dem
zerstreuten Straßburger Leben
soll Schluß sein.
    Beherzt, noch ohne ausgefeiltes Konzept, geht er zu Werk. Während dieser Wochen wird ihm die

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