Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
einigem Vergnügen, in die Sache hinein und begnügten sich nicht, ihre Klienten zu vertreten, sondern gingen dazu über, sie zu ›spielen‹ und unter dem Namen ihrer Klienten Beschimpfungen auszutauschen. Ihre Schriftsätze ließen die amtliche Zurückhaltung so sehr vermissen, daß das Gericht einen Verweis gegen beide aussprach wegen der »unanständigen, nur zur Verbitterung der ohnehin aufgebrachten Gemüter ausschlagenden Schreibart«. Johann Georg Schlosser hatte Goethe gewarnt. Als dieser ihm einmal einen seiner Schriftsätze vorlas und stolz berichtete, daß der Klient sehr damit zufrieden gewesen sei, hatte Schlosser geantwortet: »Du hast dich in diesem Falle mehr als Schriftsteller denn als Advokat bewiesen; man muß niemals fragen, wie eine solche Schrift dem Klienten, sondern wie sie dem Richter gefallen kann.« Dem Gericht mißfielen in der Streitsache mit Moors die allzu engagierten Schriftsätze Goethes, und nur weil die Einlassungen der Gegenseite aus demselben Grunde mißfielen, bekam Goethes Klient am Ende Recht.
In jenem Rechtsstreit ging es um eine verwickelte Erbschaftsangelegenheit. Von Interesse ist hier nur der Stil des Advokaten Goethe, der die Einlassungen der Gegenseite bezeichnet als die
eines zanksüchtigen aufgebrachten Weibs
〈...〉
, deren erhitztes Gehirn, unfähig mit Vernunft und Gründen zu streiten, sich in Schimpfworten erschöpft
. Bilderreich und drastisch wird die juristische Kompetenz des Prozeßgegners bestritten:
Nachdem sich die verhüllte tiefe Rechtsgelehrsamkeit lange Zeit in Geburtsschmerzen gekrümmt, springen ein paar lächerliche Mäuse von Kompendien-Definitionen hervor und zeugen von ihrer Mutter. Sie mögen laufen!
Diese Sätze zielten offensichtlich direkt auf Moors, den Vertreter der Gegenseite. Moors wird wohl auch mit Grobheiten geantwortet haben, denn in Goethes zweitem Schriftsatz heißt es:
Eben das Register von Schimpfwörtern, was die vorige Schrift charakterisiert, paradiert auch in dieser
〈...〉.
Impertinenz und Nichtswürdigkeit klingen überall in der Schrift vor
〈...〉
was ist von so einem Gegner zu hoffen? Ihn überzeugen? Mein Glück ist, daß es hier nicht darauf ankommt. Blindgebornen zum Gesichte zu verhelfen gehören übermenschliche Kräfte, und Rasende in Schranken zu halten ist eine Polizei Sache.
Für Goethe ist dieses juristische Rollenspiel die begleitende Übung bei einem literarischen Spiel. Denn zur selben Zeit, im November und Dezember 1771, verfaßt er das Historienstück »Geschichte Gottfriedens von Berlichingen mit der eisernen Hand«. Es ist die erste Fassung des anderthalb Jahre später veröffentlichten Stückes, das ihn mit einem Schlag als Theaterautor in Deutschland berühmt machen wird. Im Prozeß mußte er eine einzige Rolle spielen, die seines Klienten. Im Stück sind es mehrere Rollen, in die er sich hineindenken und zwischen denen er sich aufteilen kann. Jeder Rolle muß er etwas von sich selbst geben, doch Götz ist ihm selbstverständlich besonders nah.
Er hatte ein Stück über Götz bereits in der Straßburger Zeit ins Auge gefaßt, nach der Lektüre der Autobiographie des historischen Götz, einem in unaufhörlichen Fehden verstrickten Ritter aus der Zeit der Reformation und des Bauernkrieges. Das wilde, freie auch räuberische Rittertum war damals im Niedergang begriffen. Der historische Götz war in diesem Zusammenhang keine herausragende Figur. Doch Goethe machte ihn dazu. Er begriff, daß sich an ihm eine ganze untergehende Welt würde darstellen lassen. Es war dieselbe geistige Welt des 16. Jahrhunderts, die Goethe im Krankheitsjahr 1769 kennen gelernt hatte bei seinen alchemistisch-kabbalistischen Streifzügen. Auch Herder hatte ihm vorgeschwärmt von dieser Epoche der großen Gestalten, wie Luther, Ulrich von Hutten, Dürer. Für Goethe gehörte schon damals auch die legendäre Figur des Faust zu diesem Kreis großer Charaktere, die in Erscheinung getreten waren, als das alte Reich auseinanderbrach, die geistige Einheit sich zersplitterte und sich noch einmal ein Raum auftat für kraftvolle, originelle und höchst individuelle Gestalten. Als eine solche Gestalt erschien ihm auch Götz, das Beispiel, wie er in der Rückschau schreibt,
eines rohen, wohlmeinenden Selbsthelfers in wilder anarchischer Zeit
.
Was Goethe an »Götz« faszinierte, ist ungefähr dasselbe, was heutzutage am amerikanischen Western fasziniert: der romantische Blick in eine vergangene Welt, in der der Einzelne noch
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