Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
der Autobiographie angedeutet, wo er darüber nachsinnt, warum Cornelia auf die Männerwelt körperlich so wenig anziehend wirkte. Er erwähnt,
daß ihre Haut selten rein war
, daß ihre stark gewölbte Stirn einen
unangenehmen Eindruck machte
und daß überhaupt in ihrem Wesen
nicht die mindeste Sinnlichkeit
lag. Darum sei es ihr nicht gelungen, Jünglinge, denen sie sehr gewogen war, an sich zu binden. Das sei ihr Unglück gewesen, welches sie um so tiefer empfunden habe, weil sie sich sonst ihres Wertes durchaus bewußt war. »Wie kann ich aber eine Seligkeit anstreben, da ich keinen Reiz besitze, der Zärtlichkeit hervorruft?«, schrieb sie damals in ihr geheimes Tagebuch. Ihr Bruder aber fühlte sich von ihr angezogen wie
durch einen Magneten
. Er war ihr innig verbunden. Sie war die Vertraute bei der Entwicklung
physischer und moralischer Kräfte
. Der oft geäußerte Verdacht, daß Goethe inzestuöse Neigungen zu seiner um ein Jahr jüngeren Schwester gehegt habe, liegt natürlich nahe, weil er selbst so etwas andeutet:
Jenes Interesse der Jugend, jenes Erstaunen beim Erwachen sinnlicher Triebe
〈...〉
manche Irrungen und Verirrungen, die daraus entspringen, teilten und bestanden die Geschwister Hand in Hand, und wurden über ihre seltsamen Zustände um desto weniger aufgeklärt, als die heilige Scheu der nahen Verwandtschaft sie, indem sie sich einander mehr nähern
〈...〉
wollten, nur immer gewaltiger aus einander hielt
. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, wenn sich Goethe die Schwester als asexuelles Wesen vorstellte.
Aufrichtig habe ich zu gestehen,
schreibt er,
daß ich in mir, wenn ich manchmal über ihr Schicksal phantasierte sie nicht gern als Hausfrau, wohl aber als Äbtissin, als Vorsteherin einer edlen Gemeine gar gern denken mochte.
Die Schwester mochte erotisch wenig erfolgreich sein, gerade deshalb sieht er von ihr wohltätige Wirkung ausgehen. Ebenso verhält es sich bei Maria, der Schwester des Götz. Sie vermag weder Weislingen noch Sickingen dauerhaft an sich zu binden, doch ist ihre moralische Wirkung stark genug, um Weislingen umzustimmen und ihn zu veranlassen, das Todesurteil gegen Götz zurückzunehmen.
Das Stück eröffnet ein Feld erotischer Spannungen, wo um Siege gekämpft und wo Niederlagen erlitten werden. Adelhaid ist die eigentliche Siegerin. Goethe, der sich selbst in sein Geschöpf verliebte, mußte sich dazu zwingen, ihr den Triumph vorzuenthalten. Am Ende wird sie bestraft, soviel Mitgefühl mit der unterlegenen Schwester mußte sein. Maria – und mit ihr auch Cornelia – mußte Genugtuung geschehen.
Zwischen den Liebeshändeln taumelt Franz umher, der Diener Weislingens. Er ist das kraftlose Opfer seines Begehrens. Auch er ist in Adelhaid verliebt, doch er verliert jeden Eigenwillen. In hündischer Ergebenheit erniedrigt er sich bis zum heimtückischen Giftmord an seinem Herrn, im Auftrag Adelhaids. Er verkörpert ein pervertiertes Liebesgefühl, vor dem Goethe sich selbst warnte in einem Brief aus der Straßburger Zeit:
man sagt sie
〈die Liebe〉
mache mutig. Nimmermehr Sobald unser Herz weich ist, ist es schwach
. Franz ist der rasend gewordene, verliebte Schwächling.
Um Götz herum ändern sich die Verhältnisse. Verrat, Intrigen, wechselnde Koalitionen. Eine ganze Welt hat sich gegen ihn verschworen. Nur er bleibt sich gleich. Mit seinem Eheweib Elisabeth hängt er unverbrüchlich zusammen, ein Paar, das nichts und niemand auseinanderbringen kann, nur der Tod.
Ein Ritter ohne Fehl und Tadel ist Götz auch in Goethes Darstellung nicht. Die Fehden, die er anzettelt, sind durchaus fragwürdig. Da hat ein Schneider aus Heilbronn bei einem Schützenfest in Köln einen Preis errungen, den ihm die dortige Kaufmannszunft rechtswidrig verweigerte. Götz hatte sich der Sache angenommen, war nach Köln gezogen und hat, wie Elisabeth erzählt, die dortigen Herren so lange
kujoniert
, bis sie den Gewinn herausgaben. Maria aber erinnert daran, daß wegen einer solchen Lappalie immerhin einige Unschuldige
niedergemacht
wurden und fragt:
Wird dadurch das allgemeine Übel nicht vergrößert, da wir Not durch Not verdrängen wollen
? Elisabeth, sonst eher eine herzensgute Hausfrau, verwandelt sich plötzlich in eine raffiniert argumentierende Juristin, und man hat den Eindruck, hier ergreife Goethe als der frischgebackene Lizentiat beider Rechte und Advokat das Wort:
Wer fremde Bürger mißhandelt verletzt die Pflicht gegen seine eigne Untertanen, denn er setzt
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