Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
gegen ihre steife gezwungne einsiedlerische Gärten scheint.
〈...〉
Dann wird der Nachbar dem Nachbarn Ruhe gönnen, weil er selbst glücklich ist. Dann wird keiner seine Grenzen zu erweitern suchen. Er wird lieber die Sonne in seinem Kreis bleiben, als ein Komet durch viele andre seinen schröcklichen, unsteten Zug führen.
Dem Knappen Georg sind diese Aussichten zu idyllisch. Besorgt fragt er, ob man denn dann überhaupt noch
reiten
dürfe. Götz beruhigt ihn, man werde noch genügend zu reiten und dreinzuschlagen haben.
Wir wollten, die Gebürge von Wölfen säubern, wollten unserm ruhig Ackernden Nachbar, einen Braten aus dem Wald holen, und dafür die Suppe mit ihm essen.
Außerdem gäbe es da noch die Türken und die Franzosen, die man aufs Haupt schlagen müsse, um das Reich zu schützen:
Das wäre ein leben Georg, wenn man seine Haut vor die allgemeine Glückseligkeit setzte
.
In der zweiten Fassung des Stückes bleibt diese Vision der guten Ordnung, in der die Ritter keine Raufbolde sondern Vaterlandsverteidiger sind, zwar erhalten, doch um sie nicht allzu irreal erscheinen zu lassen, werden die Realitätsbezüge verstärkt. Götz erklärt:
Hab ich nicht unter den Fürsten treffliche Menschen gekannt, und sollte das Geschlecht ausgestorben sein!
Und weiter erzählt er, wie der Landgraf von Hanau ein Jagdfest gegeben und wie man
unter
freiem Himmel
gespeist habe
und das Landvolk all herbei lief sie zu sehen.
〈...〉
alles fröhliche Gesichter, und wie sie Teil nahmen an der Herrlichkeit ihres Herrn, der auf Gottes Boden unter ihnen sich ergötzte
.
Goethe läßt Götz von einer besseren Zukunft träumen, und insofern leistet er nicht gänzlich Verzicht auf den etwa bei Gottsched und Lessing erhobenen aufgeklärten Anspruch, das Publikum moralisch zu belehren und zu verbessern. Doch am Ende erklärt Götz selbst – was der Leser schon längst ahnt –, daß seine Zeit vorbei sei. Die großen Charaktere hätten keine Chance mehr in einer bürgerlichen, kleinlich reglementierten Welt. Götz’ pathetischer Ausblick kurz vor dem Tod verheißt nichts Gutes für die Zukunft:
Es kommen die Zeiten des Betrugs
〈...〉
. Die Schwachen werden regieren, mit List, und der Tapfre wird in die Netze fallen womit die Feigheit die Pfade verwebt
.
Im Dezember 1771 ist das Stück fertig. Goethe ist zunächst zufrieden, hat er doch sich und der Schwester bewiesen, daß er ausgehalten und etwas zu Ende gebracht hat. Was er einige Zeit im Kopf herumgetragen, ist zu Papier gebracht. Unter Freunden und Bekannten kursieren Abschriften. Ob er das Stück zum Druck bringen wird, weiß er noch nicht; daß es auf einer Bühne gespielt werden könnte, daran hat er schon gar nicht gedacht. Bühnentauglich war für ihn kein Gesichtspunkt, das Stück war für die innere Bühne der Einbildungskraft bestimmt. Doch wie jeder Autor stellt er sich die Reaktionen des Publikums und der Kritiker vor. Was werden sie wohl denken! Wie werden sie aufschreien, da doch die Theaterregeln und bisweilen auch die Regeln von Sitte und Anstand verletzt sind!
An den acht Jahre älteren Kriegsrat Johann Heinrich Merck in Darmstadt schickt er sein Stück mit einem begleitenden Gedicht, dessen Ton auf die spöttische, sarkastische Art des literarisch hochgebildeten, neuen Freundes eingestellt ist. Nicht immer, heißt es dort, sei es neuer Most, der die alten Schläuche zerreißt, manchmal geschieht auch das Umgekehrte, wenn ein alter Stoff die schwächliche Gegenwart sprengt:
Und allen Perrückeurs und Fratzen / Und allen Literarschen Katzen / Und Räten, Schreibern, Maidels, Kindern / Und wissenschaftlich schönen Sündern / Sei Trotz und Hohn gesprochen hier / Und Haß und Ärger für und für. / Weisen wir so diesen Philistern / Kritikastern und ihren Geschwistern / Wohl ein jeder aus seinem Haus / Seinen Arsch zum Fenster hinaus.
Auch Herder bekommt das Stück geschickt, mit Goethes Bemerkung, er werde keine Veränderung daran vornehmen,
bis ich Ihre Stimme höre; denn ich weiß doch, daß alsdann radikale Wiedergeburt geschehen muß, wenn es zum Leben eingehn soll.
Herder läßt ihn mit seinem Urteil ein halbes Jahr warten. Inzwischen gab es neue Projekte, Goethe plante ein Stück über Cäsar und ein anderes über Sokrates. Dafür sammelte er bereits Material und machte sich Notizen. Er blieb bei den großen Charakteren. Endlich kam Herders Urteil über den »Götz«. Der Brief ist nicht erhalten, doch aus Goethes Antwort geht hervor, daß Herder
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