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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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eingeladen. In Goethes Kutsche sitzt auch die neunzehnjährige Charlotte Buff. Und bereits während der Fahrt verliebt sich Goethe in die zierliche junge Frau mit den himmelblauen Augen und dem lockigen Blondhaar. Man tanzt die halbe Nacht hindurch. Goethe wußte, nach dem Zeugnis Kestners, in dieser ersten Nacht noch nicht, daß Lotte »nicht mehr frei war«. Und da das Verlöbnis noch nicht offiziell war, tat der später hinzugekommene Kestner, als ob er mit Lotte nur befreundet wäre.
    Anderntags stattete Goethe ihr einen Besuch ab im Amtshaus des Deutschen Ritterordens, das ›Deutsche Haus‹ genannt, wo Lottes Vater als Amtmann die Besitzungen des Ordens verwaltete. Dessen Frau war unlängst gestorben. Lotte, die älteste Tochter, versorgte die Geschwister. Bei seinem ersten Besuch im ›Deutschen Haus‹ wurde Goethe Zeuge einer Szene, die auch im »Werther« geschildert wird: wie Lotte, von der Kinderschar umringt, das Brot schneidet, den Kleinen die Nase putzt, Streitereien schlichtet und sie ermahnt und ermuntert.
    In »Dichtung und Wahrheit« betont Goethe, wie ihn gerade der Umstand, daß Lotte schon gebunden war,
sorglos
gemacht habe, und wie er selbst davon überrascht war, sich auf einmal derart leidenschaftlich
eingesponnen und gefesselt
zu fühlen,
daß er sich selbst nicht mehr kannte.
Noch überraschender sei das für ihn gewesen, da doch Lotte zu jenen Frauen gehörte, die zwar
allgemeines Gefallen
erregen, nicht aber
heftige Leidenschaften einflößen.
So hatte übrigens auch Merck, rücksichtslos wie
Mephistopheles
, bei einem Besuch in Wetzlar geurteilt. Der Freund möge sich doch besser eine attraktivere Freundin suchen, statt mit einer aussichtslosen
Liebhaberei
die Zeit zu vergeuden.
    Lotte hatte dem schwärmenden Goethe die Grenzen gezeigt, doch mit Zustimmung des Verlobten an der freundschaftlichen Bindung festhalten wollen. Goethe war auch für Kestner ein anziehender Mensch, den man ungern losließ. So blieb Goethe nach der Klärung der Mißverständnisse als Hausfreund bei Lotte und Kestner.
So lebten sie, den herrlichen Sommer hin, eine echte deutsche Idylle
,
wozu das fruchtbare Land die Prosa, und eine reine Neigung die Poesie hergab
. Man ging durch Kornfelder, lauschte dem Lied der Lerche, stöhnte unter der Hitze, ließ sich vom Gewitterregen durchnässen, saß um den Küchentisch und schälte Erbsen. Das hätte noch eine Weile so friedlich weitergehen können, doch Goethe hatte, so Kestner, eben doch »Eigenschaften, die ihn einem Frauenzimmer, zumal einem empfindenden und das von Geschmack ist, gefährlich machen können«. Zwar war sich Kestner seiner Lotte sicher, doch bezweifelte er, ob er, wie er einem Freund schrieb, imstande sein würde, »Lottchen so glücklich zu machen als er«. Weder möchte er Goethe als Freund verlieren, noch Lottchen als Braut. Darum war es für ihn eine große Erleichterung, als Goethe endlich einsah, »daß er zu seiner Ruhe Gewalt gebrauchen mußte.« Gewalt war in diesem Falle nichts anderes als eine entschlossene, heimliche Abreise.
    Am 10. September 1772 in der Frühe verließ Goethe Wetzlar ohne Ankündigung. Man hatte den Abend zuvor gemeinsam verbracht. Kestner notierte im Tagebuch. »Er, Lottchen und ich hatten ein merkwürdiges Gespräch, von dem Zustande nach diesem Leben, vom Weggehen und Wiederkommen p., welches nicht er, sondern Lottchen anfing. Wir machten miteinander aus: wer zuerst von uns stürbe, sollte, wenn er könnte, den Lebenden Nachricht von dem Zustande jenes Lebens geben. Goethe wurde ganz niedergeschlagen«. Goethe hinterließ am anderen Morgen zwei Abschiedsbriefe, einen für Kestner und darin eingelegt einen für Lotte. An Kestner:
Wäre ich einen Augenblick länger bei euch geblieben, ich hätte nicht gehalten
. An Lotte:
Ich bin nun allein, und darf weinen, ich lasse euch glücklich, und gehe nicht aus euern Herzen.
    Beim Lesen der Abschiedsbriefe weint Lotte. Soviel Trauer mußte sein, bei aller Erleichterung, die sie empfand. »Doch war es ihr lieb«, notiert Kestner im Tagebuch, »daß er fort war, da sie ihm das nicht geben konnte, was er wünschte. Denn er war sehr verliebt in sie und bis zum Enthusiasmus. Sie hatte solches aber immer von sich entfernt und ihm nichts als Freundschaft eingeräumet, auch förmlich deklarieret. Wir sprachen nur von ihm.«
    Sie werden noch oft von ihm sprechen, zunächst freundschaftlich und liebevoll, nach dem Erscheinen des »Werther« eine Weile lang gekränkt und bitter. Aber

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