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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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denn Eckermann gegenüber äußert er später:
Der Gedanke, sich einem Manne hinzugeben, war ihr widerwärtig, und man mag denken, daß aus dieser Eigenheit in der Ehe manche unangenehme Stunde hervorging.
Cornelia verkümmerte an der Seite des tüchtigen Schlosser. So fand Goethe sie vor, als er sie das erste und einzige Mal im Mai 1775 in Emmendingen besuchte. Von der Geburt der zweiten Tochter wird sie sich nicht mehr erholen; sie starb am 8. Juni 1777.
    1774 war Goethes erstes Jahr im Hause am Hirschgraben ohne Cornelia, ohne den für ihn so bedeutsamen täglichen Austausch mit ihr. Nun war eingetreten, was er Kätchen Schönkopf drei Jahre zuvor selbstbewußt-trotzig so beschrieben hatte:
Wir haben ein ganzes Haus, und wenn meine Schwester heiratet, so muß sie fort, ich leide keinen Schwager, und wenn ich heirate so teilen wir das Haus, ich und meine Eltern, und ich kriege 10 Zimmer
.
    Cornelia war weg, kein Schwager fiel ihm zur Last, er konnte sich ausbreiten, wenn auch nicht auf alle zehn Zimmer, doch eine Braut war nicht in Sicht: Kätchen Schönkopf war inzwischen unter der Haube; die verlassene Friederike trauerte in Sesenheim; die empfindsamen Frauen in Darmstadt himmelten ihn an, doch waren sie sonst schon vergeben oder durch Standesschranken gehindert; Lotte in Wetzlar war inzwischen auch verheiratet und hatte ihr erstes Kind bekommen. Es gab keine wirkliche Heiratskandidatin. Doch mit so ernsthaften Absichten, wie die Eltern sich das wünschen mochten, hielt Goethe auch gar nicht Ausschau. Er begnügte sich weiterhin mit dem unter Freunden in Frankfurt gepflegten Mariage-Spiel. Anna Sibylla Münch war ihm als Partnerin, mit der er den Ehebund spielen sollte, zugelost worden. Der Vater hätte sie auch im ernsthaften Sinne ganz passend gefunden. Für Goethe war sie immerhin Anlaß für das nächste Theaterstück, den »Clavigo«. Er hatte ihr im Frühjahr 1774, nach Abschluß des »Werther«, aus den Memoiren von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais die Episode vorgelesen, die von Clavigo, dem untreuen Liebhaber der Schwester von Beaumarchais handelte, und es war Anna Sibylla gewesen, die Goethe mit einiger Anzüglichkeit bat, sich dieses untreuen Liebhabers für ein Theaterstück anzunehmen. Für Goethe war es eine handwerkliche Herausforderung. Er wollte beweisen, daß er Stücke nicht nur im ›wilden Stil‹, wie bei »Götz«, sondern auch in herkömmlich ›geregelter Manier‹ verfertigen könne, und zwar im Handumdrehen. Binnen acht Tagen wollte er damit fertig sein, versprach er, und tatsächlich rückte er wenig später mit dem Stück an, das Anna Sibylla sehr gefiel, vom gestrengen Merck aber mit den Worten abgefertigt wurde:
solch einen Quark mußt Du mir künftig nicht mehr schreiben; das können die Andern auch
.
    Goethe selbst hielt das Stück nicht für einen
Quark
, denn sonst hätte er es nicht im Sommer 1774 fast gleichzeitig mit dem »Werther« unter eigenem Namen veröffentlicht; es war überhaupt das erste Werk, das unter seinem Namen erschien. Es habe ihm
Freude
gemacht und es sei
romantische Jugendkraft
darin, schreibt er kurz nach Erscheinen an Jacobi. In einem anderen Brief erklärt er, was ihm daran besonders gefällt: daß es ihm gelungen sei, einen gemischten Charakter dazustellen,
ein unbestimmter, halb groß halb kleiner Mensch.
Ein Charakter wie Weislingen im »Götz«, ein Mensch, der nicht stark und beständig genug ist für die Liebe. Clavigo ist unstet, begabt, brillant, ein Frauenheld und auf bestem Weg, sich zum zynischen Höfling zu entwickeln. Der Tod der Geliebten jedoch bringt ihn zu sich selbst zurück. Dieses Kammerspiel vom treulosen Liebhaber, der am Ende zerknirscht sein Unrecht einsieht, zur Verlobten zurückkehrt und dann doch durch den Degen des beleidigten Schwagers stirbt, fand beim Publikum wenig Anklang, doch was Anna Sibylla Münch betraf, so war es,
als wenn unser Verhältnis, wie durch eine geistige Nachkommenschaft, durch diese Produktion sich enger zusammen zöge und befestigte.
    Der Vater sah das, wie gesagt, nicht ungern, denn er hielt Anna Sibylla durchaus für standesgemäß. Er wünschte sich den Zeitpunkt herbei, da das
unbestimmte Rumoren
des Sohnes endlich ein Ende finden würde. Das Genietreiben, der unaufhörliche Zustrom von Freunden und Bekannten, die
literarische Einquartierung
, die Freigebigkeit und
Verbürgungslust
– Goethe unterstützte einige Freunde wie Lenz, Klinger und Wagner – das alles begann auch zur finanziellen

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