Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
gefunden«. Eine Woche blieb Lavater im Haus am Hirschgraben und hielt dort seine Audienzen ab, denn die Menschen strömten ihm in großer Zahl zu. Ende Juni brach er nach Ems auf, das eigentliche Ziel der Reise. Er wollte dort seinen Rheumatismus kurieren. Goethe begleitete ihn. Für den Augenblick waren die beiden unzertrennlich.
Lavater vermerkt im Tagebuch, Goethe habe ihm einiges aus dem im Entstehen begriffenen Epos vom »Ewigen Juden« rezitiert. Behandelt werden darin die Irrwege Ahasvers, des ewigen Juden, im Deutschland des 18. Jahrhunderts. Ahasver, so wie ihn Goethe sich vorstellt, hat noch die christliche Urgemeinde erlebt, und für ihn ist im Kontrast dazu das gegenwärtige kirchliche Christentum eine Entartung. Vom wiederkehrenden Christus, der in diesem Epos ebenfalls einen Auftritt hat, heißt es:
Er trat in ein benachbart Land / Wo er sich nur als Kirchfahn fand / Man aber sonst nicht merkte sehr / Als ob ein Gott im Lande wär.
Die Logik der Geschichte: Einst hatte Ahasver Jesus verkannt, jetzt sind es die Kirchen, die Priester und Theologen, die sich an Christus versündigen. Der »Ewige Jude« war wahrscheinlich aus einer ähnlichen Stimmung heraus geschrieben, wie jener Brief an Herder, wo das offizielle kirchliche Christentum als
Scheinding
oder
Scheißding
(beide Lesarten der Handschrift sind möglich) bezeichnet wird.
Der fromme Lavater notiert im Tagebuch nicht, ob ihm die Verse gefielen. Er war ja immerhin selbst ein Mann der (Reformierten) Kirche und wird die Satire auf die gegenwärtige Christenheit mit gemischten Gefühlen aufgenommen haben, auch wenn der Christusglaube bei ihm eine sehr persönliche, innerliche und keine dogmatische Angelegenheit war.
Von Ems nach Frankfurt zurückgekehrt, konnte Goethe schon den nächsten Besucher begrüßen: Basedow, ein Geistlicher, der sich die Reform des Schulwesens zum Ziele gesetzt hatte und als ein inzwischen berühmter Mann herumreiste, um Geldgeber zu gewinnen für seine Projekte. Noch im selben Jahr begründete er in Dessau, unterstützt vom dortigen Fürsten, das »Philanthropinum«. Basedow wandte sich gegen Pedanterie und Wortkram, der Unterricht sollte anschaulich sein, die Gegenstände aus dem Leben gegriffen, das richtige Lernen sollte erlernt werden, und es sollte auch Spaß machen. Durchaus vernünftige Ideen. Basedow selbst allerdings war ein ziemlich grobschlächtiger Kerl, ein Trinker und Pfeifenraucher mit billigem Knaster. Goethe konnte es mit ihm eigentlich nur unter freiem Himmel aushalten.
Auch Basedow war auf dem Wege nach Ems, und Goethe, der jede Gelegenheit zu reisen nutzte, begleitete auch ihn. Also wieder zurück nach Ems, von wo er gerade gekommen war. Basedow saß in der Kutsche und qualmte, Goethe auf dem Kutschbock. Lavater und Basedow verstanden sich ganz gut, und beide rückten mit ihren unterschiedlichen Botschaften dem jungen Goethe zu Leibe. Auf einem Albumblatt notierte Goethe:
Und, wie nach Emmaus, weiter ging’s / Mit Sturm- und Feuerschritten: / Prophete rechts, Prophete links, / Das Weltkind in der Mitten.
Das war geschrieben bei der Schiffsreise lahn- und rheinabwärts, zunächst bis Koblenz und von dort, ohne Basedow und seinen Knaster, bis Düsseldorf. Im benachbarten Elberfeld kam es zur ersten Begegnung mit Friedrich Heinrich Jacobi und dessen Bruder Johann Georg. Über die Jacobis hatte Goethe zuvor auf das bloße Gerücht hin, sie seien empfindsame Weichlinge, Satiren verfaßt. Jetzt lernte er sie persönlich kennen, und mit Fritz, dem sechs Jahre Älteren, begann in diesen strahlenden und heißen Sommertagen eine Freundschaft fürs Leben.
Friedrich Heinrich Jacobi hatte das Handelshaus des Vaters in Düsseldorf übernommen und bekleidete außerdem das Amt eines Kammerrates und Zollkommissars. Er war ein tüchtiger und sehr vermögender Geschäftsmann mit einer ausgeprägten Liebe zur Philosophie. Er kannte Gott und die Welt, wechselte Briefe mit allen, die Rang und Namen hatten, mit Lessing, Wieland, Klopstock, Hamann und Kant. Jacobi war ein schöner Mann mit elegantem und gewinnendem Auftreten. Goethe war sehr beeindruckt und fühlte sich sogleich auf vertrautem Fuß mit ihm, und Jacobi seinerseits schrieb nach der ersten Begegnung geradezu verliebte Briefe an Goethe, »Ging auf und nieder den ganzen Morgen, dir allein meine ganze Seele, drinnen zu schalten und zu walten nach Wohlgefallen. Wie du in mir würkst so gewaltig! – Du hast wohl nie dergleichen erfahren. Tue ferner Gutes und
Weitere Kostenlose Bücher