Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Jahren, die gerne tanzte, malte, komponierte, heitere Geselligkeiten pflegt, die neueste Literatur las, Lesezirkel um sich versammelte, Goethes »Werther« bewunderte, die sich von Wieland über antike und neuere Philosophie unterrichten ließ.
Offensichtlich bestand eine recht enge gesellschaftliche Beziehung Goethes zu Anna Amalia, doch man vermutete schon damals, daß womöglich noch mehr dahinterstecke. Die Görtz nannte Goethe einen »Favoriten« von Anna Amalia und registrierte genau die Häufigkeit der Besuche und den Wechsel von Nähe und Distanz. Sie bemerkt auch oder glaubt zu bemerken, wenn Goethe einmal einen ganzen Abend alleine bei Anna Amalia verbringt. Die kleine Residenz, in der nichts verborgen bleibt, schwirrt von Gerüchten, die von der Gräfin Görtz eilends kolportiert werden. »Maman 〈Anna Amalia〉 steht mit dem Genie par excellence 〈Goethe〉 auf besserem Fuß als jemals zuvor, und trotz seiner Zurückhaltung in der Öffentlichkeit spricht die Verleumdung darüber«. Von Herder weiß sie zu berichten, daß ihm die Verhältnisse am Hofe suspekt seien: »Er ist ständig traurig und bedauert das unglückliche Schicksal von Weimar, die Verirrungen des Meisters 〈Karl August〉, die Situation der Frau 〈Herzogin Luise〉. Er verachtet mehr denn je die Mutter 〈Anna Amalia〉 und tadelt den Favoriten«. Dieser Brief der Gräfin Görtz stammt aus einer späteren Zeit und zeigt, daß diese unübersichtliche Situation in Weimar noch eine Weile lang fortbestand. Wieland nannte sich einen »bloßen Zuschauer« bei dieser »Staatskomödie«, und der Kammerherr von Sigmund von Seckendorff ärgert sich über den von Goethe mit verursachten Wirbel, »Das Ganze teilt sich in zwei Parteien, von denen die des Herzogs die geräuschvolle, die andere die ruhige ist. Man läuft, jagt, schreit, peitscht, galoppiert in der ersten und, sonderbar genug, bildet man sich ein, es mit Geist zu tun, und zwar wegen der Schöngeister, die daran teilnehmen. Es gibt keine Ausgelassenheit, die man sich nicht erlaubte. Die zweite langweilt sich meist, sieht alle ihre Pläne durch die erstere durchkreuzt, und das gesuchte Vergnügen schwindet gewöhnlich.« Mit der langweiligen Partei ist wohl der Kreis um die junge Herzogin Luise gemeint, bei der es weder wild noch schöngeistig, sondern ziemlich steif und sehr standesbewußt zuging.
Charlotte von Stein gehörte hier dazu. Da sie zuvor die Hofdame von Anna Amalia gewesen war, war sie ihr als Gesellschafterin der Herzogin Luise weiterhin in Loyalität ergeben. Zu einem Zeitpunkt, als Goethe bereits schwärmerische Briefe an sie schrieb, teilte sie ihrem väterlichen Freund, dem berühmten Arzt Johann Georg Zimmermann, besorgt mit, wie Goethe die Sitten des jungen Herzogs verderbe. Sie selbst meide die Begegnung mit Goethe, obwohl er eine Ermahnung verdient hätte: »Ich habe erstaunlich viel auf meinen Herzen, das ich den Unmenschen sagen muß. Es ist nicht möglich, mit seinen Betragen kömmt er nicht durch die Welt! 〈...〉 Warum sein beständiges Pasquillieren? 〈...〉 Und nun sein unanständ’ges Betragen mit Fluchen, mit pöbelhaften, niedern Ausdrücken. 〈...〉 er verdirbt andre. Der Herzog hat sich wunderbar geändert. Gestern war er bei mir, behauptete, daß alle Leute mit Anstand, mit Manieren nicht den Namen eines ehrlichen Mannes tragen könnten! 〈...〉 Daher er auch niemanden mehr leiden mag, der nicht etwas Ungeschliffnes an sich hat. Das ist nun alles von Goethen 〈...〉 Ich fühl’s, Goethe und ich werden niemals Freunde.« Das schrieb sie, als Goethe sich bereits mit ihr befreundet fühlte.
Die Frau von Stein war, als Goethe sie kennen lernte, dreiunddreißig Jahre alt, verheiratet mit dem Oberstallmeister Josias von Stein, mit dem sie sieben Kinder hatte, von denen nur noch drei lebten. Als eine geborene von Schardt hatte sie eine streng höfische Erziehung genossen, formvollendet wußte sie sich in ihren Kreisen zu bewegen und achtete sehr darauf, daß es auch die anderen taten. Sie las viel, zitierte gerne und gab entschiedene Urteile ab; unter ihren Standesgenossen galt sie schon fast als Gelehrte. Mit ihrer kleinen schlanken Gestalt wirkte sie trotz der zahlreichen Schwangerschaften immer noch mädchenhaft, und der bräunliche Ton ihrer Haut, die tiefschwarzen Haare und dunklen Augen gaben ihr etwas Südländisches. Sie trat selbstbewußt, doch zurückhaltend auf, oft nüchtern bisweilen auch ironisch, immer aber auf Distanz bedacht.
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