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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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Gefürchtet waren ihre lakonischen Urteile über Menschen. Das Überschwengliche lag ihr fern. Auf manche wirkte sie melancholisch. Sie war keine große Schönheit, doch eine elegante Erscheinung.
    Bei seinem ersten Besuch auf ihrem Landsitz Großkochberg, ein paar Wegstunden von Weimar entfernt, ritzte Goethe nach einem langen Gespräch am Kamin seinen Namen und das Datum dieser Begegnung – 6. Dezember 1775 – in die Tischplatte. In dem kurz danach geschriebenen ersten von ungefähr anderthalbtausend Briefen Goethes an Charlotte heißt es:
Und wie ich Ihnen meine Liebe nie sagen kann, kann ich Ihnen auch meine Freude nicht sagen.
Ein tändelnder, sprachspielerischer, auch koketter Ton ist in den ersten Briefen, immerfort ist von Liebe die Rede, doch es klingt noch nach Rokoko mit ein wenig Ironie versetzt.
Aber all meine Torheit und all mein Witz sind, Gott weiß wohin!
, schreibt er einmal, und dann folgt eine Kaskade von Einfällen. In einem Brief von Ende Januar 1776 geht er plötzlich zum ›Du‹ über:
Liebe Frau, leide daß ich dich so lieb habe. Wenn ich jemand lieber haben kann, will ich dir’s sagen.
Vielleicht hat sie sich das verbeten, denn am nächsten Tag gibt er sich zerknirscht:
Es geht mir verflucht durch Kopf und Herz ob ich bleibe oder gehe.
Er hatte mit ihr wohl auch über seine unglückliche Schwester gesprochen und über seine Schuldgefühle, und hatte bei ihr einiges Verständnis gefunden, denn er schreibt:
O hätte meine Schwester einen Bruder irgend wie ich an dir eine Schwester habe.
In einem seiner ersten Briefe nannte er sie
Besänftigerin
. Er verspricht sich von ihr nicht Erregung, sondern schöne Seelenruhe, eben Besänftigung. Manchmal aber findet er doch auch, daß sie es mit der Seelenruhe und der Besänftigung ein wenig übertreibt, dann nämlich, wenn sie sich ganz einfach entzieht. Mit bitterer Ironie bemerkt er:
Du hast recht mich zum heiligen zu machen, das heißt mich von deinem Herzen zu entfernen
〈...〉
Hier auch eine Urne, wenn allenfalls einmal vom Heiligen nur Reliquien überbleiben sollten.
Am nächsten Tag setzt er, wieder zum ›Sie‹ zurückkehrend, hinzu:
Doch da meine Liebe für Sie eine anhaltende Resignation ist
〈...〉. So geht es hin und her, zwischen Unruhe, Beruhigung und in Ruhe gelassen werden. Das Verlangen wird kokett umspielt, er wagt sich vor, zieht sich wieder zurück, wortreich, bisweilen lakonisch, manchmal frech und hin und wieder bricht er ins Lyrische aus. Wie auch immer, er kommt nicht von ihr los und findet bei ihr Gelegenheit, auf allen Registern seiner Ausdrucksmöglichkeiten zu spielen.
    Er ist davon so hingenommen, daß ihn Nachrichten aus Frankfurt nicht sonderlich berühren. Auf die Nachricht von Lilis Verlobung hin antwortet er Johanna Fahlmer:
Von Lili nichts mehr, sie ist abgetan.
Am selben Tag an Auguste zu Stolberg:
Mein Herz mein Kopf – ich weiß nicht wo ich anfangen soll so tausendfach sind meine Verhältnisse und neu, und wechselnd aber gut
.
    Die
Verhältnisse
sind aber nun auch so, daß ihm das Gefühl der Vertrautheit mit Charlotte unheimlich ist, ihn fast gespenstisch anmutet. Mitte April 1776 spricht er sich Wieland gegenüber offen darüber aus:
Ich kann mir die Bedeutsamkeit – die Macht, die diese Frau über mich hat, anders nicht erklären als durch die Seelenwanderung. – Ja, wir waren einst Mann und Weib! – Nun wissen wir von uns – verhüllt, in Geisterduft. – Ich habe keinen Namen für uns – die Vergangenheit – die Zukunft – das All.
In diesen Tagen bittet er Charlotte, ihm eine Abschrift von einem Gedicht von ihm zu schicken, das er nicht mehr hat,
möchte’s von Deiner Hand – sollst auch Ruh vor mir haben.
Goethe hat dieses Gedicht zu Lebzeiten nicht veröffentlicht:
Warum gabst du uns die Tiefen Blicke / Unsre Zukunft ahndungsvoll zu schaun / Unsrer Liebe, unserm Erdenglücke / Wähnend selig nimmer hinzutraun? / Warum gabst uns Schicksal die Gefühle / Uns einander in das Herz zu sehn, / Um durch all die seltenen Gewühle / Unser wahr Verhältnis auszuspähn.
Diese Verse waren ungefähr zur selben Zeit geschrieben wie Charlottes bereits zitierter Brief an Zimmermann. Offenbar vermochte er ihr doch noch nicht so ins
Herz zu sehn
, wie er sich das wünschte. Auch das Gefühl einer eigentümlichen Seelenwanderung zwischen beiden, das Goethe Wieland anvertraut hatte, deutet dieses Gedicht an:
Sag was will das Schicksal uns bereiten? / Sag wie band es uns so rein genau? / Ach du warst in

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