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Goethe war’s nicht

Goethe war’s nicht

Titel: Goethe war’s nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Demant
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Zimmer traf Herr Schweitzer auch auf Fabiana und Sylvia Kravat. Der Sohn des Hauses war noch am Bauen. Mehr Grünzeug als Tabak war auf den zusammengeklebten RIZLA-Blättchen.
    Da hat aber einer Nachholbedarf, dachte Herr Schweitzer. „Du, Gil, der Wagner lässt fragen, ob das stimmt, dass Linus Stranz kein Handy hat?“
    „Hatte!“
    „Wie hatte?“
    „Linus hatte ein Handy. Momentan aber hat er keins. Ist ihm geklaut worden.“
    „Wie? Wann?“
    Gilberto Fornets Aufmerksamkeit galt aber gerade dem Joint. Mit spitzer Zunge befeuchtete er den schmalen Klebestreifen. Er konzentrierte sich darauf, dass sich der Filter richtig einrollte. „Tja, wie? Weiß Linus, glaube ich, selbst nicht. Wir waren vor einer Woche im Proberaum, da hatte er es noch. Später waren wir noch zu dritt im Sky. Unser Schlagzeuger Tschatschi war auch dabei. Da muss es ihm irgendwie geklaut worden sein, behauptet er jedenfalls. Kann aber sein, dass Linus es einfach nur verloren hat, so hackedicht wie er an dem Abend war. Der hat sogar noch gekotzt, vorm Sky. Tschatschi und ich hatten Mühe, den Türsteher zu beruhigen.“
    „Ihr macht Musik? Was denn so?“, wollte Herr Schweitzer wissen. Auch wenn man es ihm kaum ansah, so bieder wie er sich manchmal kleidete, die Musik der Jugend mochte er meist, wenn’s nicht gerade Hip-Hop war.
    „Ach, so alternativ halt. Wir hatten sogar noch einen Auftritt im Sinkkasten, bevor er dichtgemacht hat. Als Vorgruppe. Wir ham erst acht Songs.“
    „Wie heißt ihr? Ich meine, eure Band?“
    „The goddamned rhythms of death. Einen richtigen Übungsraum suchen wir aber noch. Manchmal proben wir bei einer befreundeten Band im Osthafen-Bunker, manchmal bei Linus zu Hause im Keller.“ Gil zündete das Zauberzigarettchen an und nahm einen tiefen Zug. Noch bevor die Wirkung eingesetzt haben konnte, änderten sich seine Gesichtszüge prophylaktisch von ernst und nachdenklich in entspannt.
    Herr Schweitzer hätte gerne auch mal, aber er wusste, ein Zug und er konnte die nächsten Stunden vergessen, übernächtigt wie er war. „Glaubst du, der Linus könnte sich noch ein Handy zugelegt haben, bevor sie ab in den Urlaub sind?“
    „Pff, möglich ist alles. Mir jedenfalls hat er die Nummer nicht gegeben.“ Gil musste Herrn Schweitzers gierigen Blick bemerkt haben: „Möchten Sie auch mal ziehen?“
    „Nee, du. Ich würde aber drauf zurückkommen, wenn dein Vater wieder frei ist. Sag mal, mit dem verstehst du dich nicht so klasse, kann das sein?“
    „Pff. Sie müssen wissen, das Einzige, wofür mein Vater wirklich Interesse hat, sind seine Skulpturen und Geld. Nach meinem Suizidversuch vor zwei Jahren ist’s ganz aus. Nicht mal im Krankenhaus hat er mich besucht, der Arsch.“
    „Gil!“, meldete sich Fabiana rigoros zu Wort. „So kannst du nicht reden. Kuno ist dein Vater!“
    „Biologisch vielleicht. Mein Bruder Paolo hat’s richtig gemacht. Ist mit achtzehn ab nach Rio, kurz nachdem er volljährig geworden ist. Hat’s keine Minute länger hier ausgehalten. Und, Mamita, kannst’s ruhig sagen, ihr seid doch nur noch zusammen, um den Schein aufrecht zu halten.“
    Fabiana Fornet war’s sichtlich unangenehm. Unruhig rutschte sie auf ihrem Stuhl hin und her. Eine Antwort aber blieb sie schuldig.
    Gilberto hat anscheinend voll ins Schwarze getroffen, dachte Herr Schweitzer. Schon als er mit Maria hier zum Essen eingeladen worden war, hatte er dasselbe Gefühl gehabt. Kuno Fornet behandelte Fabiana eher wie einen Einrichtungsgegenstand als wie jemanden, mit dem ihn auch nur ein Fünkchen Liebe oder wenigstens Respekt verband. Ob das mal anders gewesen war? Oder war das von vornherein sowieso nur so eine Art Zweckehe gewesen? Kuno Fornet brauchte eine Frau für den Nachwuchs und Fabiana wünschte sich nichts sehnlicher, als dem Elend zu entkommen. Vor über zwanzig Jahren war Brasilien, so wusste Herr Schweitzer, ja in der Tat quasi nur ein Entwicklungsland gewesen, weit entfernt vom heutigen Standard. Doch so ganz außergewöhnlich war das nicht. Man konnte nur vermuten, wie viele Ehen in Deutschland dieses Schema als Grundlage vorzuweisen hatten. Zehntausende? Hunderttausende? Trotzdem, man konnte sich doch problemlos scheiden lassen, aber davor hatte Fabiana wahrscheinlich eine Heidenangst. Herr Schweitzer konnte es ihr nicht mal verübeln. Tja, dachte er, so geht’s zu im Leben. Da ihm nichts mehr einfiel, was er hätte fragen können, verabschiedete er sich. „Ich geh dann mal wieder nach unten.

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