Goethe war’s nicht
mit dem Kollegen die Überwachungsbänder vom Südbahnhof anschauen.“
Dieter Wagner schlug sich an die Stirn. „Stimmt. Hab ich ja selbst angeordnet. Okay, Herr Schweitzer, rufen Sie Ihre Freundin an.“
Doch sein Handy hatte den Geist aufgegeben. Akku leer. Er ging ans Festnetz. Keine Verbindung, nicht mal das Besetztzeichen ertönte. Sicherlich habe ich eine Zahl vergessen, dachte Herr Schweitzer und nahm einen neuen Anlauf. Konzentriert tippte er eine Zahl nach der anderen ein. Das Resultat war dasselbe. „Herr Wagner, die Leitung ist tot.“
„Bitte?“
„Die Leitung ist tot. Hier, probieren Sie selbst.“ Er reichte Wagner den Hörer.
Während sich Herr Schweitzer Schmidt-Schmitts Handy ausborgte, um Maria anzurufen, mühte sich der BKA-Leiter damit ab, eine Verbindung zu wem auch immer herzustellen. „Seltsam. Was ist denn da schon wieder los?“
Sylvia Kravat: „Brauchen wir den Festnetzanschluss überhaupt?“
„Wahrscheinlich nicht. Doch wir sollten das so schnell wie möglich beheben. Die Entführer haben ja schon einmal diese Nummer angerufen. Könnte ja sein, dass deren Handy mal nicht funktioniert, Funkloch, oder so. Wir gehen kein Risiko ein. Ich geh mal rüber zum Krause, der soll das klären.“
Zwanzig Minuten später herrschte Klarheit. Ein Baggerfahrer hatte beim Ausheben einer Grube für die Sanierung des Abwasserkanals versehentlich das Telefonkabel gekappt.
„Offenbach“, erklärte Oberkommissar Schmidt-Schmitt lapidar. Ein schelmisches Grinsen begleitete seine Aussage.
Wagner: „Was ist mit Offenbach?“
„Der Baggerfahrer ist mit Sicherheit ein Offenbacher. Das Autofahren ist für die schon ein Buch mit sieben Siegeln, da kann man sich ja an seinen fünf Fingern ausrechnen, was passiert, wenn man denen so komplizierte Maschinen wie Bagger in die Hände drückt.“
Nun hatte auch Dieter Wagner verstanden. „O Gott, ihr immer mit euren Feindseligkeiten. Wann hört das endlich auf?“
Hihihi, schmunzelte Herr Schweitzer, wahrscheinlich nie, das Geläster über die ungeliebten Nachbarn gehört nämlich zu unserer Tradition und die ist uns Frankfurtern heilig. Obwohl, so ganz sicher war er sich da nicht mehr. In den letzten Jahren hatten sich immer mehr Stadtteile der ehemals Freien Reichsstadt dem Erscheinungsbild Offenbachs angenähert. Trabantenviertel, in denen wegen der dortigen sozialen Probleme kaum ein Mensch mehr wohnen mochte, doch mit Hartz-IV hatte so manch einer gar keine andere Alternative. Teile von Bonames und Griesheim gehörten schon seit Längerem dazu. In den letzten Jahren war auch Höchst in diese Kategorie abgerutscht, dessen Altstadt fast nur noch aus so genannten Billigläden bestand. Die dort zahlreich vertretenen türkischen Mitbewohner hatten die dortige Bolongarostraße bereits sarkastisch in Bulgarostraße umgetauft. Der Grund dafür war der massenweise Zuzug von Menschen osteuropäischer, darunter eben auch bulgarischer Provenienz, die es schon als Fortschritt erachteten, wenn aus dem Warmwasserhahn tatsächlich warmes Wasser strömte, was im maroden Sozialismus zwar angedacht, aber selten realisiert worden war.
Veroffenbachen
– dieser Begriff hatte sich in letzter Zeit für diese Art der Stadtteilverödung mehr und mehr durchgesetzt. Ergo: Auch Höchst hatte sich
teilveroffenbacht
.
Dieter Wagner jedenfalls hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, dass der Schaden – Offenbacher hin, Offenbacher her – so schnell als irgend möglich behoben werde.
Dann kam Krause mit einem Zwischenbericht. „Wird noch ein paar Stündchen dauern, bis wir alles komplett durch sind. Hier schon mal zwei Fotos von Männern, die irgendwie verdächtig in die Überwachungskamera gucken, beziehungsweise nur kurz hochschauen, dafür dann aber umso beflissentlicher den Kopf senken. Haben die Fotos durch unsere Datenbank laufen lassen, leider erfolglos.“
„Danke, Krause“, sagte Wagner. „Weiter so.“
Herr Schweitzer schaute ihm über die Schulter. Er erkannte keinen der beiden Männer. Hätte ja sein können, dachte er, Sachsenhausen ist ja quasi ein Dorf. Ständig lief man bekannten Gesichtern über den Weg.
Maria von der Heide blieb auf einen Kaffee. Als Paolo Fornet frisch geduscht erschien, ging Herr Schweitzer mit seinem Bündel nach unten.
Obwohl es nur das Behelfsbadezimmer war, die Dusche war eine Wucht. Heiß und Kalt waren bestens justiert, die Kabine sehr weiträumig und das Wasser plätscherte nur so von oben herab, dass es gleichzeitig beide
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