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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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eine Tür war laut zugefallen – wurde es still. Vollkommen still.
    »Gehen wir?« bat Frau von Stein leise.
    Draußen vor dem Hause sank die Gasse in den Bann der ereignislosen Sonnabendnacht. Die Kerzen vor dem schmalen, ovalen, goldgerahmten Wandspiegel im kleinen Salon waren tief herabgebrannt. Die hellen Damastbezüge des Sofas, in dem die zwei Schweigenden – durch einen korrekten Zwischenraum voneinander getrennt – saßen, die Fauteuils und die Sessel blinkten im gleichmäßigen Licht wie liebe, ruhige Blumengartenflecke; schläferten, duftlos, fast ein. Die Porträtchen und Schattenrisse in runden Ebenholzrahmen, die Gruppe von sechs Kupferstichen in viereckigen Eichenholzrahmen über dem Schreibtisch zwischen den Fenstern schauten gütig, ohne Prätention, aber auch ohne allzu beleidigende Gleichgültigkeit herab. Aber auch alle anderen Dinge da, tausend nur allzu bekannte, allzu durchschaute Dinge – sagten sie etwas?
    Der Busen der Frau, die auch nach elf Jahren Gemeinschaft mit diesem Manne sich noch nicht erlaubte, das grausam ausschließliche Gefühl, das sie ihm verstrickte, auch nur für Augenblicke ungezügelt leben zu lassen, wogte in unsichtbarer Bewegung. Während die Seele angstvoll auf das erste Wort, die erste Geste des Geliebten wartete. Denn schonend unsichtbar zwar, aber doch unheimlich gegenwärtig schwebte die Seele dieser elf Jahre in diesem Raume. Der Sturm der ersten Eroberung, die innere Gewalt des Kampfes gegen sie, die Süßigkeit des zweiten Gebanntwerdens, der sich die dürstende Natur, endlich widerstandmüde, überlassen, – sie hatten die Wesenheit ihres zauberhaften Schicksals in all den Dingen hinterlassen, vor denen sie Erscheinung geworden waren. Aber auch der zähe Streit um die Wahrung des letzten Gewissens der Gattin, die unzähligen Stunden der Zähmung des Mannes, dessen lodernde Herzensglut auch den Verstand umfeuerte und die Sinne aufwühlte, hatten ihre unzerstörbare Erinnerung den Dingen eingebrannt, die, scheintot scheinbar, rundum ihr überdauerndes Leben lebten. Zuletzt hatte die Frau gesiegt. Denn wo auf der Welt – für die Wahrheit und Größe dieses Gedankens war ihre Seele nicht zu klein! – lebte der Mann, der göttlicher geben konnte und kindlich reiner, ehrfürchtiger, treuer und rechnungsloser gab als dieser? Und dennoch nicht mehr forderte als etwa ein Freund, dem die vergebens mit Feuern Umdichtete die Erfüllung verweigert und nur den Trost der verzichtenden Anbetung läßt?
    Aber – und ohne daß der Mann an ihrer Seite es merkte, begann nun ihr Auge sich prüfend über ihn zu legen, unbarmherzig mit sich selber jede Miene des Antlitzes zu erforschen, das in tiefer Sammlung auf der japanischen Zwergföhre im nüchtern irdenen Topfe saß, – aber: galt dieser Sieg noch? Oder: wie lange wird er noch gelten? Sagten diese Züge, denen sie die Überwindung der heißesten Sehnsucht ebenso unerbittlich anbefohlen hatte wie, seinerzeit, dem gießbächigen Genieburschen die Fähigkeit und den Ernst zur Allüre, – sagten diese Züge nicht: eine einzige wahrhaftige Erschütterung, von da oder von dort, und wir sind verwandelt? So verwandelt, daß du uns nicht mehr erkennen wirst? Saß nicht das Zeichen eines immer wieder niedergehaltenen, aber nie wirklich besiegten Aufruhrs auf der Stirne? Bargen sich hinter diesen Augen nicht Gefahren der Empörung? Des Abfalls? Der Flucht? Stand in der Schwingung dieser Lippen, denen sie niemals die Wonne des vollen Kusses gegönnt, nicht schon das Wort geformt, das sie entrechten und in die tiefsten Schauer der Einsamkeit hinabstoßen mußte, wenn es endlich einmal fiel, das Wort der unwiderleglichen Wahrheit: »Du bist um sieben Jahre älter als ich und – nicht meine Frau geworden? In mir aber glimmt nur das Feuer, schläft nur, gebändigt von dir, die Natur. Ha! Ich beginne erst zu leben, wenn ich gehe!«?
    Mit einer heftigen Bewegung auffahrend, entriß sie sich der Hölle dieser Fragen.
    »Ist dir nicht wohl?« Erschrocken, schnell langte er nach ihrer Hand, nahm sie fest in die seinige. »Lotte?«
    Wie das wohl tat! »Armes!« Innig, zärtlich, ja kindlich weich war seine Stimme auf einmal. »Plagst dich Tag und Nacht mit deinen Sorgen, und ich kann dir so wenig beistehen!« Und wie nun sein Auge erblühte. Im Antlitz, das bittend das Auge der Erlösten suchte, die Falten des Zwangs und der Verschließung verschwanden. Die Eisenfesseln abfielen von der Gestalt, und jeder Muskel, jede Sehne nur noch in

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