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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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Mengsens Werken gebildet waren. Auf Tischchen, die mit Lappen, Reißstiften, Tuschefläschchen, Skizzenbüchern, Ölkrüglein, Lämpchen und Tonscherben über und über bedeckt waren. An den Wänden, in einer Reihenfolge, deren Gesetz Herrn Krantzens Auge nicht erriet, hingen an die dreißig Blätter mit orangeroten oder seideblauen oder ultravioletten Himmeln, flächigen Gebirgskulissen, aufgeregt blitzenden oder tafelglatt grauen oder purpurrot unwahren Meeren. Zwischen den Fenstern stand, in die Höhe wachsend, eine Rolle von Stichen, deren letzte Schicht sich vom festen Leib so losgerissen hatte, daß das Auge spannenlangen Einblick in ein Wirrsal von rein gerissenen Linien genoß. Auf der Erde, unweit von den Füßen des Drehsessels, lag ein großer Plan von Rom. Über ihm, auf einem Taburett, stand angelehnt an einen Teller mit hellgrünen Feigen ein gelbes Gipsviereck, das die scheußlichste Gorgo zeigte. »Lionardo« las Herr Krantz mit Anstrengung auf dem Rücken eines Folianten, der im Fensterbrett lag. Und als er den ermatteten Blick von dieser Sammlung unenträtselbarer Fremdheiten hob, erblickte er – das Ölbild eines nackten, wahrhaftig sehr nackten Weibes! »Sie wissen es wohl nicht, Herr Geheimerat,« stieß er nun hoffnungslos hervor, »und werden es aus allen Briefen, die von Weimar einlangen, nicht lesen können, wie man sich zu Hause den Kopf darüber zerfrägt: warum Sie gegangen sind, was Sie hier so lange treiben, und warum Sie nicht zurückkommen? Nicht nur encanailliert ist Weimar, seitdem Sie fort sind, sondern aus den Fugen geraten! Der Herzog: Fürstenbund, und nichts anderes mehr. Die Frau Herzogin hat ihn weniger, als je früher. Die Gesellschaft bei Hofe verblödet. Die Herzogin Mutter will nach Italien. Herder will nach Italien. Dalberg will nach Italien. Wer aber nicht reisen, Ihnen nachreisen kann, den treibt es in die Niederungen seines Temperaments zurück, weil dieses Temperament ohne Ihr Beispiel eben nicht hochbleiben kann. Ich habe erst neulich mit dem Herrn Baron Fritz von Stein gesprochen . . .«
    »Fritz!« rief Goethe mit gewaltiger Stimme in die Tür hinter seinem Sessel hinein.
    Herrn Krantz stockte der Atem. Was hieß das? »Seien Sie, bitte , Exzellenz, um Gotteswillen nicht böse darüber, daß ich es wage, hievon zu reden!« Die Arme, bettelnd, breitete Herr Krantz aus, armseliges Pathos hob seine Stimme. »Ich bringe Ihnen ja einen Strauß, einen Riesenstrauß von Grüßen! Eine Ladung von Fragen, Zweifeln, Besorgnissen, – Sehnsucht! Man hat gehofft, Sie würden, Sizilien durchreist, im Juni, spätestens im Juli . . .«
    »Fritz!« rief Goethe zum zweitenmal, noch gewaltiger, in die Tür hinter seinem Sessel hinein.
    Zum Flüsterton sank Krantzens Stimme. »Herr Fritz kam mir wie ein verlassenes Vögelchen vor. Selbst sein Anzug war nicht adrett. Er stammelte; brachte nichts Rechtes hervor. Als ich ihm sagte, ich reiste hieher, flammte sein Auge in einer Wehmut, in einer Trauer, . . . .« – jetzt hab ich ihn! fuhr es wie der Blitz durch Herrn Krantzens Hirn, waghalsig glitt die Hand an die Kiste, um sie näher an den Drehsessel heranzurücken – »in einer Passion, sage ich Ihnen, auf, – mein Gott! dachte ich mir: der Vater beschäftigt im Amte, die Mutter in Kochberg, – sie ist leidend, man sah sie im Winter fast niemals bei Hofe, Herr Herder, mir jüngst begegnend, hatte die Güte, mir anzuvertrauen, daß ein neuralgisches Leiden . . .«
    »Die Arme! Noch immer?« Fast herausfordernd, mit trotzig voll offenem Blick, maß Goethe vom Bild weg den Redner. »Wie ich das beklage! Es ist mir so wohlbekannt, daß Frau von Stein wenige gesunde Tage im Jahr genießt. Das macht dieses elende Klima von Weimar. Die Leute da oben wissen ja gar nicht, daß es auf der Welt auch einen Platz gibt, auf dem man nicht ewig Zahnweh und Reißen hat. Sahen Sie etwa« – mit einem Satz war er vom Sessel herunten, im Nu folgte Krantz – »sahen Sie etwa jüngst Frau von Stein?«
    Als ob der Boden unter ihm ins Schaukeln geraten wäre, antwortete Krantz mit völlig zerbrochener Stimme: »Einen Tag, ehe ich reiste. Bei Frau Herder.«
    »Und? Wie sah sie aus?«
    »Sehr verändert. Gealtert . . .« Entsetzt fuhr der Konzertmeister auf. Weiß ward sein Gesicht. »Das heißt, ich wollte sagen, . . .«
    »Fritz!« rief Goethe mit unerträglich lauter Stimme und drückte blitzschnell die Klinke der Tür hinter seinem Sessel auf. »Fritz!«
    »Mißverstehen Sie

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