Goethe
nicht, Exzellenz!« Die Hände rang Herr Krantz. »Ich wollte sagen: leidende Menschen, insbesondere leidende Frauen . . .« Da ließ er die Arme sinken. Ein Wirbelwind hatte die Tür aufgestoßen und wie eine lichterloh brennende Fackel stürzte ein Bursche herein. »Was rufen Sie denn mich? Wir rufen seit einer halben Stunde ja Sie! Das Fuhrwerk ist unten und alle schon droben! Schnell! Avanti! Prestissimo! Wir versäumen ja die prächtigste Stimmung!«
»Das ist Fritz!« stellte Goethe, den Arm um Bury geworfen, vor. »Ein grandioser Künstler, und noch grandioserer« – jäh, inbrünstig küßte er Bury – »Liebling.«
»Ich habe,« würgte Krantz, mitleidlos in die Türe zurückgedrängt, hervor, »diesen Bund Briefe da Euer Exzellenz abzuliefern. Der oberste von allen dürfte, mein' ich, von Frau von Stein . . . ..«
»Lieber Krantz!« Fröhlich nahm ihm Goethe die Briefe aus der Hand; fröhlich warf er sie auf das nächstbeste Tischchen. »Sie machen uns heut abend ein bißchen Musik? Was? Und wir kredenzen Ihnen dafür soviel vino da Castello, daß Ihnen ganz Deutschland in dieser Nacht wie ein Berg von der Seele fällt? Recht so?«
»Ganz Deutschland, Ihr alle, und alles;« schrieb Krantz eine Stunde später mit jammernder Feder von seiner Herberge an der Ripetta aus nach Norden, »ist ihm von der Seele gefallen! Er weiß nichts mehr! Hat alles vergessen! Ist uns völlig verloren!«
»Dieser Krantz,« sagte Goethe hingegen, als das Gefährte weit überm ponte Molle draußen in den Sonnenbrand des wolkenlosen Mittags hineinfuhr, »ist eine biedere Seele. Ihr müsset gut zu ihm sein! Wisset doch, wie uns Deutsche die panische Furcht anweht, sobald wir das Rathaus der Heimatstadt nicht mehr erblicken. Wir sind so.«
» Sie nämlich!« jauchzte Bury, die Hand verliebt in der Goethes. » Sie sind so!«
»Der Frechdachs!«
»Seien Sie Alkibiades und lassen Sokratem drei Monate lang in Sizilien bleiben! Jetzt, da ich Sie wieder habe,« – kein Kind konnte eigensinniger aufbegehren als Bury – »nicht einen Schritt mehr lasse ich Sie fort von mir!«
»Er ist besoffen von unlauterer Liebe, Herr Geheimerat,« knurrte Schütz und klopfte den Ranzen, den er sorglich zwischen den Knieen hielt. »Sollen wir ihm nicht mit einem Rebhuhn das Maul stopfen? Er wird sonst zu üppig.«
»Sorakte!« erklärte in seiner einsilbigen Weise Meyer; wies mit der Hand, als ob sie den Kontur gleich in der Luft nachreißen wollte, nach dem links nahekommenden Berge.
»Ist er eigentlich blau oder rot?« Mit halb zugekniffenem Auge, ängstlich, schaute Goethe. Der Berg hob sich als schräg ragendes Dreieck vor dem gleißenden Westhorizont in den Feuerregen des Himmels. In fleischfarbener, schneeloser Nacktheit starrte die Kahlheit der Felsen.
»Ich würde etwas Karmin mit Neutraltinte mischen,« meinte Meyer nach langer Prüfung.
»Und die schattenlosen Flanken?« höhnte Schütz.
»Und der Gegensatz zur umstreichelnden Luft?« stimmte Goethe lebhaft zu.
»Und Nausikaa?« platzte unverschämt Bury drein. »Das Nest, das schon gefunden ist?«
Schütz sah nur, wie der Mann neben ihm verzerrt aufzuckte. »Ganz richtig!« beteuerte er grimmig. »Der Sommer? Die Hitze? Das Flimmern? Die Betäubung? Das macht Hackert mit Neutraltinte und Karmin, und bekommt Leichname heraus!«
»Vielleicht – anstatt Neutraltinte Preußisch-Blau?« riet aufs Bedächtigste Meyer.
»Es ist zum Irrsinnigwerden!« Zappelig riß sich Goethe von Bury los. »Da glaubt man: jetzt hab ich's. Und hat es erst recht nicht! Wir machten das nur die Alten? Meyer!«
Aber Meyer, mit seiner ruhigsten Stimme, antwortete: »Da ist der Weg, den ich zu führen vorhabe. Ferma, Gigi! « Und da, als sie nun ausstiegen und in den Weg hineintraten, erblickte Goethe Moritzens Auge. Schnell nahm er ihn an die Seite. Aber aufgeregt begann nun Bury zu singen, zu tänzeln, zu fragen; tausend Fragen; immerfort an Goethes Ärmel. Hinten, ebensolang, als Bury dies Manöver, das Moritzen von Goethen wegbeißen sollte, fortsetzte, stritten Meyer und Schütz. Schütz, dem der Ranzen den Schweiß auspreßte, wollte, daß man sich niederlasse und endlich frühstücke. Meyer beharrte eisern: »Sobald das Motiv gefunden ist!« – »Welches Motiv, zum Teufel?« – »Das Motiv des Lebens anstatt des Lebens selber!« grinste Bury zurück. – »Ich pfeife auf Motive! Überall ist ein Motiv!« – »Aber man wählt das bedeutendste!« – »Vernunftkunst!« – Gleich darauf
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