Goethe
vor den Strähnen des Wassers, das wie tropfendes Blut niederquoll aus den gewebten Falten des Gewandes, der Vater und die Freier. »Da ist er!« Ein Riß durch die Dreie, und wie ein Tiger sprang der Verzweifeltste von ihnen auf aus dem Kauern und auf den Mann zu, der kühn übers schaukelnde Brett in das Schiff hereinschritt. »Da ist er! Der ist es!«
Mit festem Tritt stieg der Fremde ins purpurne Nest. »Ja! Da bin ich!«
In unheimliches Rollen geriet das irrsinnige Auge des Vaters. Die Finger spannte knackend Prandini zum Griff. Die Backenknochen zerrissen zuseiten der gefletschten Zähne Castros Gesicht in zwei Hälften von Todhaß.
Warum aber, plötzlich, während das Schiff zu tanzen aufhörte und wie Erde lag, reglos, einten sich diese Hälften wieder zur früheren Miene? Lösten die Finger der Hand sich, die erwürgen wollten? Und erlosch in zornlose Ergebung das Auge des Vaters?
Getaucht in das Eis einer Trauer, die hinnimmt den Würfel der Schuld und des Schicksals, nahm der Fremde den brennenden Blick von den Männern. »Da bin ich!« wiederholte er laut.
Keiner sprach. Keiner fragte. Jeder nur, stumm, bog den gebrochenen Nacken.
»Da bin ich!« sagte der Fremde zum drittenmal.
»Und da sie!« antwortete Don Carlo, dem der Wind toll wehte im pechschwarzen Mantel, und durchbohrte zum zweitenmal mit dem Auge den Abgrund des Auges. »Deine Befreierin!«
Als ob ihn die letzte Kraft verließe, begann der Fremde zu taumeln. Mit aller Gewalt griff er nach der Planke der Brüstung. Im nächsten Augenblick, wie ein Kind, kniete er schluchzend zu den Füßen der Toten.
»Nein!« Herrisch wehrte Don Carlo ab. Mit großmächtigen Armen schlug er den Mantel zwischen ihm und dem Fremden um den triefenden Leichnam. »Jetzt gehe! Dein Vaterland wartet!«
»Gehe jetzt!« rief er zum zweitenmal, drohend, als der Fremde weiß ward wie Leichnam. »Dein Vaterland wartet!«
»Was war?« fragte flüsternd Kniep auf dem Maultier, als er den Starren durch die steinerne Menge zurückkommen sah und sein Tier suchen. »Was war nur?«
»Sagen Sie doch, Herr Geheimerat!« fragte er zum zehntenmal wieder, als sie lange schon draußen auf den Felsen der Küste messinawärts trabten und das Meer seine Wut mit brüllender Woge über sie hinwarf. »Was war auf dem Schiffe?«
»Es ist immer dasselbe Geheimnis,« antwortete Goethe ohne Stimme, »obgleich es das höchste ist! Eine Seele wird geboren, und die andere muß sterben dafür! Ohne Opfer kein Siegen! Ohne Siegen kein Opfer!«
»Aber – wer ward denn geboren?« stotterte hilflos der Blinde.
»Wenn mich jetzt der Orkan an die Klippe da wirft und zu Brei zerschmettert dieses betende Hirn,« – weh lächelte der Sieger hinaus übers Meer, das Nausikaa getrunken hatte und ihn erdwärts geleitete – »ich würde Klippe und Orkan segnen mit dem göttlichen Bewußtsein: einmal mitten drinnen gewesen zu sein im Glück – ohne den bitteren Gedanken: es nicht verdient zu haben!«
Völlig wirr schüttelte Kniep seinen Kopf. »Aber – es ist Ihnen doch niemand gestorben?«
»Kinder, ihr!« lächelte der sprengende Reiter im Meergischt und langte bedürftig nach der nichtsahnenden Hand. »Was ist Wahrheit? Was Dichtung? Der Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit aber: mein geborenes Leben! – Nein! Nicht rechts da, mein Lieber! Durch die Schlucht und die Felsen! Mitten durch geht der Weg!«
Achtes Buch
Schleier
Der herzoglich weimarische Konzertmeister Krantz, seit einigen Tagen in Rom auf Urlaub, saß neben Goethen in Tischbeins Studio. Er hatte vorgestern abend angeklopft; da war Seine Exzellenz in San Paolo fuori gewesen. Er hatte sodann, im Seidengewand, gestern mittags seine Aufwartung gemacht; da befand sich Seine Exzellenz in der Villa Madama. Hierauf hatte der Herr Konzertmeister noch am späten Abend submissest anfragen lassen, ob und wann er vom Herrn Staatsminister von Goethe, – dem er übrigens Briefe zu überbringen habe – angenommen werden würde. Und nun saß er da. Auf einer Kiste. Gewiß: auch er, der Herr Kapellmeister Krantz, fühlte sich in Rom anders, denn in Weimar. Aber, um Gotteswillen, was war mit dem Manne geschehen, der auf dem Drehsessel vor der Staffelei hockte und wütend an einem Landschaftchen pinselte? Das Gesicht braun wie das eines Bauernjungen aus der Campagna. Die Lippen geradezu schadenfroh lüstern geöffnet. Das Auge Ausbund von Übermut. Die Gestalt in sorgloser Lässigkeit gelöst. Die Kleider, gewiß peinlich wie immer
Weitere Kostenlose Bücher