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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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Schweizer zurück. »Was kehrt er denn um in Sizilien, wenn er noch immer nicht erfahren hat, wer er ist; was er will? Grundrisse reißen, Gemmen abpausen, Sphinxe nachzeichnen, Farben mischen, Rötel, Kohle, Bleistift probieren, Tusche, Sepia, Aquarell, Pastell, Tempera, Öl und Enkaustik, – er ist ja verrückt! Keinen Schritt mehr tun kann er, ohne ein »Bild« zu sehen und sich einzubilden, er müßte es zeichnen, malen, in Kupfer stechen!« Wild funkelten die weingetäuschten Äuglein aus dem schweißnassen Gesichte. »Früher hat er die Sachen angeschaut und ist zufrieden gewesen damit, daß er sie anschauen kann und ein Dichter ist, – und obendrein noch der Goethe! Und jetzt? Wie wir neulich vor der Transfiguration standen,« – die Arme ließ Schütz sinken, karikatursüchtig veränderte sich die derbe Gestalt – »was hat er getan? Bury, hat er affektiert gerufen, schnell! Halte das Blau von dem Tuch da fest, dieses Blau muß gemerkt werden! – Und wer ist die Schuld daran? Sie! « Und weil Meyer darauf nur noch verwirrender schwieg und Goethe vorn nur noch ungeduldiger dahinschritt, ward seine Stimme grob, seine Gestalt voll Drohung, empört kamen die roten aufgeblasenen Backen ins Zittern. »Jawohl! Sie! Schuster, bleib bei deinen Leisten, sollten Sie ihm jeden Tag tausendmal zurufen und, wenn's notwendig ist, handgreiflich werden und ihn von seinem Reißbrett zum »Egmont« zurückjagen und ihm die Augen« – den linken Zeigefinger prall auf der Stirn: »diese verblendeten Augen aufreißen und klar machen, daß es sinnlos, ja ein Verbrechen ist, Maler werden zu wollen, wenn man ein Dichter ist! Oder – haben Sie schon eine einzige richtige Zeichnung von ihm gesehn? Eine einzige vernünftige Farbe? Ich nicht. Er trifft's nicht. Er hat's nicht. Er schmiert nur!«
    »Einen Menschen wie ihn« – ganz leicht machte Meyer seine Hände frei – »muß man wohl nach seiner Fasson selig werden lassen?«
    »Ja, wenn es Fasson ist! Aber das ist gemeiner Dilettantismus!«
    »Meyer!« rief da Goethe von vorne zurück.
    Aber glücklicherweise hörte Meyer nicht. »Geben Sie zu, Exzellenz,« fragte also Moritz beherzt weiter, :»man sehnt sich am meisten immer darnach, was man, seiner Natur nach, nicht haben kann? Oder?«
    Aber Goethe nickte nur. Hand in Hand mit Bury, der wie ein übervoll Liebender übervoll schwieg, ging er wortlos mit gesenktem Gesicht unentwegt weiter.
    Fragend starrte Moritz in die Glut hinaus, die sich nur langsam, mit allen Qualen der Wiedereinfügung, aus dem Rausch in die Gesetze der unmerklich absteigenden Sonne zurückband. Warum, warum überkam ihn die Ahnung vom Tode gerade heute? Mußten seine Augen gerade heute so urklar erkennen, daß diese anderen, die da mit ihm wanderten, gesund waren, ohne Gedanken an Kranksein und Sterben, und er ein Gezeichneter? Und daß ein Heimweh in seiner gewaltsamen Seele drin klagte, das, klagend, nicht wußte, woher es kam, und jammernd nicht ahnte, wohin es zog? »Der Unkeusche,« sagte er plötzlich scheu, »sehnt sich nach Reinheit. Der Zusammengesetzte nach einem Bauerngemüte. Der Untätige nach Tätigsein. Der Rastlose nach Ruhe. Der Kranke nach Gesundheit. Je länger ich an meiner Götterlehre arbeite, um so klarer erfasse ich's: aus dieser Sehnsucht nach Gesundheit heraus warf ich mich in dies Feld. Nur deshalb.«
    Aber wieder nur nickte Goethe.
    »Wenn aber« – die ganze unselige Zwiespältigkeit seiner zerrissenen Seele erschien auf Moritzens leidendem Gesichte – »wenn aber die Antike gar nicht so war, wie wir uns weißmachen? Die Alten, zum Beispiel, selber sie gar nicht als gesund, einfach und natürlich empfanden? Vielleicht bilden wir uns nur ein, daß schön wäre, was wir von unserer Natur aus nicht haben können? Sagen Sie! Bitte, was meinen Sie?«
    Aber Goethe sah nun scharf geradeaus und antwortete nicht. Vor ihm, als Abschluß des Tibertals, das sich in sonngebleichter, nur allmählich wiedererwachender Grüne weit empor dehnte, und eingefaßt von seinen keilförmig nach Süden ziehenden Flanken, stand die Reihe der nördlichen Bergzacken blau unterm tiefblau rückstrahlenden Himmel. Unter der erdnahsten Bläue dieses Himmels aber, auf einer Hügelwelle zwischen den zwei höchsten Hebungen, die Zinnenkrone einer mildroten Kastellstadt.
    »Wenn aber wahr wäre, was ich vorhin sagte,« – noch einmal, gepeinigt, wagte sich Moritz hervor – »daß uns, nämlich, der Gegensatz anzieht, – warum lieben dann Sie die Alten so

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