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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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vielfach, mit unzähligen Gewalten geladen, wo die Kräfte des Lebens in wildem Kreuz an ihm zerren. Er kennt die Schwäche halber Hingabe nicht, wenn seine Seele gezogen sich aufschwingt; aber auch nicht die Rücksicht falsch schmeichelnder Tröstung, wenn ihn sein Ziel vom Glück abruft zum Abschied. Man müßte frei sein von jeglichem Eigennutz, jeder Gier nach eigenem Gewinn von ihm her, um ihm die Lieder der kindlichsten Liebe zu entlocken und die furchtbar erschaffenden Blitze seines Genies; und um ihn zu wärmen und die Not seines Einsamseins wundertätig zu bannen. Ich aber . . .
    Ein müdes Lächeln um die ungeküßten Lippen tötete die süße Versuchung. »Ich bin eine alte Frau!«
    »Und erst noch darüber reden!« stieß er, zwischen den Bildern auf und nieder wandelnd, die Hände auf dem Rücken, heiser hervor. »Einer Mutter in Trastevere, – vielleicht zehn Müttern in Trastevere drüben sterben heute Kinder! Und ich, – weil ich nicht zeichnen kann!« Und wieder schlug er die Hände vors Gesicht.
    »Wer Sie nicht ernst nimmt wie den Schöpfer selber, – nein, nein!« verbesserte sie sofort, erschrocken, »wie das gewissenhafteste Geschöpf des Schöpfers auf jeder Staffel Ihres Weges, – der kann den Genius nicht vom Menschen unterscheiden! Was tut uns Armen denn bitterer not, als: endlich einmal wieder zu sehen, daß einer aufwärts will? Hart? Unerbittlich?«
    »Und deshalb mahnen Sie mich? «
    Hoch, obwohl ein Seufzer aus ihrer tiefsten Brust brach, stieg das Antlitz der Frau zu ihm empor. »Ja. Deshalb wagte ich's.«
    »Und wenn ich Sie mahne?«
    Ein wunderschönes Lächeln. »Gott! Was bin denn ich?«
    »O, Angelica!« Als schauderte ihn vor der Gewalt des Zaubers, der von dieser königlichen Reinheit, dieser unbemakelt durch den Schmutz des Lebens getragenen Unschuld zu ihm herüberlockte, an die eiserne Schale seiner erst gepanzerten Mannesseele rührte, starrte er in sich hinein. »Was wissen Sie von Ihnen, und was von mir?«
    »Von mir nicht viel. Von Ihnen, – was Sie mir vertrauen!«
    »Es ist nicht schön, Angelica, nicht schön,« – mit heißem Schritte kam er wieder näher, der Regen rauschte, rauschte, rauschte Linderung, Aufschmelzen, Lösung und Befreiung – »und auch nicht gut, wenn man das Herz, endlich, soweit gebracht hat, daß es sich folgsam als das Zweite fühlt!«
    »Nach dem Ersten –: der Sorge für die eigene Seele?!«
    Als blitzten hunderttausend Blitze in einem einzigen, ganzen auf, empfand er: Licht! Empfand er: Glauben! Empfand er: Zwei! Und ohne noch zu denken, zum drittenmal, ließ er sich nieder neben ihr.
    Aus tiefen, bis ins Letzte offenen Augen sah er sie an. »Überlegen Sie gut, was Sie sagen! Da ist ein Mensch, der unverdient geliebt wird. Ganz unverdient! Und viel! Grundlos. Doch wirklich! Und: der nicht mehr sich gibt! Weil er jetzt werden will! Er werden will! Verschenken kann er sich, will er sich nur noch an sich selber! Dem eigenen Weg! Dem kaum erratnen Ziel! – Wie nun, wenn dieser Weg ein Irrweg ist? Das Ziel nicht zu erreichen?«
    Sie nahm, als dürfte sie's nun ohne Zweifel tun, weil dort, wohin dieser Mann sie führte, ihr angestammtes und erworbenes Land sein mußte, seine Hand in ihre Hand. »Es gibt auch zwischen Menschen,« flüsterte sie bebend, »Etwas, was mehr als Liebe ist, die – immer – haben will! Das ist: das Höchste an Leid und Streit, Verzicht und Willen nach oben voneinander zu verlangen, es einander glauben, und zu ihm einander helfen!«
    »Ja!« In bitterem Zwiespalt rief er's aus. »Wenn dieses Höchste eben wirklich die Sorge für die eigene Seele ist!«
    »Wofür denn sonst?«
    O dürft' ich, dürft' ich, fuhr's wie süße Versuchung durch den aufgewühlten Mann, den wirren Kopf in diesen Schoß da legen, von diesen keusch gebliebnen Händen mich streicheln lassen, mit sehnsuchtsvollen Lippen den Herzschlag küssen, der so erlösend hinter dieser Brust schlägt! »Wofür denn sonst?« Die rechte Hand, auf ausgerecktem Arm, griff langend in die Dämmerung, die rauschend, rauschend, rauschend, mit Duft und Feuchte, Erleuchtung, Schlummersang, Entbindung durch die Fenster wogte. »Was der Verstand ergreift, die Phantasie erahnt, was Geist, Gedanke ist, unsichtbar, Idee, – das bändige ich als Dichter leicht in Formen! Da entwischt mir nichts, was dieses Herz zu fühlen, dieses Hirn zu erraten, dieses Blut zu wittern fähig ist! Soweit der Kreisgang dieser Welt gezogen ist, gehört mir diese Welt! Und mehr:

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