Goethe
Mädchen wieder, vor dessen Aug sich morgendlich die Welt ausbreitet, und niemals noch ein Schatten über ihren Glanz gefallen, und Mensch und Tier, Baum, Stein und Halm in voller Unschuld unterm blanken Himmel, erhob sie sich. »Sie Kind und Feuergeist! Sie heiße, schöne Seele!«
»Ja!« Tollkühn, weit umströmt vom Dämmer, der noch immer rauschend, rauschend, rauschend floß und wehte, glomm ihr das Auge auf. »Ich sag es noch einmal: Sie große, schöne, heiße Seele!«
»Wer weiß es denn,« – weil er, wie Fels geworden, traurig schwieg – »wieviel und was Sie täglich, stündlich leiden?«
»Ich? Leiden?« Wehes, hartes Lachen. »Hier, in Rom?«
»Ihr Weg ist dunkel! Am dunkelsten, wo ihn die meiste Sonne trifft!«
»Und wenn Sie irren?« Gemartert sprach ers aus. »Wenn alles Trug und Lug und Täuschung ist? Und ich auch Sie umgarne? Woher denn sollten Sie es wissen?«
»Ich fühle es! Und wenn Sie mir gestehen: ich hab gemordet . . .«
»Ich hab gemordet!«
»Zweimal, dreimal, viermal! . . .«
»Fünfmal, sechsmal, siebenmal!«
»Doch niemals noch: die Reue! Und die Sehnsucht! Die eigene Seele nie!«
»Sie sind nicht von den Menschen! Nicht von hier!« Was half da reden, stürmen, beichten und beweisen? Wehmütig legte er den Arm um sie, schlang sie zu sich heran. Lehnte das bleiche Antlitz süß an seine Brust. Und hielt es so. Die Dächer unten finster. Der Duft erlöster Erde aufwärts wogend; voll und dankbar. Der Dunst verflogen. Vogelstimmen, jauchzend, treu im Abend. Das ruhereiche Flüstern tiefer Büsche. Auf der Terrasse der Vigna Glitzer matten Goldes. Die Stadt wie schlafend in ersehntem Rasten. Der Himmel bleich, verhangen, aber lächelnd. Weit draußen, hinter ungewissen Formen, ein Streifen Licht, – ein Winken.
»Du weinst?« So innig wie ein Kindlein fragte er. »Angelica, du weinst?«
Scheu löste sie sich los. Es gibt auch zwischen Menschen Höheres als Liebe, die – immer – haben will! »Das sind nicht Tränen!« Lächelnd, blaß, unendlich glücklich: »Das sind nicht Tränen!«
»Dann« – ja, das war sein Blick! Das war er selbst! – »dann muß ich mich auch nicht der meinen schämen?«
Wie? Aufgeschreckt aus schönstem Traum, hielt sie im Schreiten inne. Ist er fort?
Die Glocke von Trinità dei monti begann zu läuten.
Wie? Ist er wirklich fort?
Die Glocke von San Carlo al Corso begann zu läuten.
Ja, er ist fort! Umflossen von den Strahlen ihrer ganzgeschmückten Seele, ließ sie sich fern, im tiefsten Dunkel nieder. O! Durch die Wüste pilgern, Jahr um Jahr, luftlos und grünlos, ohne Quelle und Erbarmen! Und plötzlich, da, in diesen eigenen, nie geweckten Armen, an diesem Herzen da den Sinn des Menschseins halten!
Die Glocke von San Silvestro begann zu läuten.
»Nein, nein! Er ist nicht fort! Nie wieder geht er fort! Von mir geht er nie wieder fort!«
»Nein,« antwortete er geheim herauf, mit blankem Schritt durchs nasse Nachtreich schreitend, »ich geh nicht fort, Angelica!« Ha! Hatte nicht vor wenig Stunden noch von allen Wänden dieser vielgeliebten Häuser das bittre Antlitz viel zu frühen Abschieds geweint? Die Stadt traurig gelächelt, als gehörte sie schon nimmer ihm? In diesem Busen drin ein Schmerz gehaust, den nichts betäuben, nichts mehr lösen konnte? Und nun? Nun läuten alle Glocken von ganz Rom: »Du bleibst!« Und: »Es wird werden!«
» Was werden?« Schon wieder ängstlich, nichts als grauer Zweifel, fragte er's vor sich hin, in der Sixtina, nächsten Mittag. Ja: Draußen flammte Licht, nur Leuchten. Hier drinnen aber: Düster! Dunkel! Dämmer. Dennoch: winkt hier nicht etwas? Aber: was? Warum kam aus jedem Feld der Decke immer drängender, je öfter er hier weilte, dies rätselhafte Mahnen? »Was will man mir verkünden?« Nichts! Kein Laut! Der Custode schlief vor der dreifachen Tür. Der Stuhl des Papstes, wenn man ihn rücken wollte, – wer will nicht einen Papststuhl rücken? – knarrte nicht einmal. Auch er war Schweigen hier. Hier lief die Zeit nicht. Von den Wänden starrten gleichgültige Machenschaften von Vorläufern. Da war der Pinsel gut, jedoch kein Geist. Auf den Fliesen schlummerten die Tritte nobler Prozessionen, unzähliger Ahnungsloser, die blind geblieben waren auch nach hunderttausend Blicken in die Decke. Ums Jüngste Gericht quoll Weihrauchdampf. Vom Zacharias nieder sang der Nachhall gewohnten Chorgesangs. Ach, Wolken überall! Von überall her. Gewiß: er kannte jeden Zollbreit da. Wenn er
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