Goethe
die Augen schloß, schuf nicht der Schöpfer trotzdem seine Welt da oben? Und dennoch! Dennoch!
* * *
Er erhob sich aus dem Papststuhl. Das Erz vom Marc Aurel auf dem Capitol hatte er gewagt zu streicheln. In diesem Papststuhl einmal Mittagschlaf gehalten. Dort drüben, in der Ecke, ein Pfund Trauben schmatzend aufgegessen. Aber: so unter dieser Decke stehen und, aufschauend, laut zu sagen: »Ich bin,«– das wagte er nicht! Hier nämlich winkte etwas! Hier verbarg sich etwas! Nicht der Geist des Werkes! Wenn er sich vorstellte: mir gegenüber, unter der Sintflut, steht Michelangelo, sein Rücken ist krumm, sein Gesicht, den Bart, den Kittel über der Brust verunzieren tausend bunte Farbentropfen, er stöhnt verzerrt, der Papst versteht ihn nicht, die Nächte sind schlaflos von der Lieblosigkeit, der Habgier, der gemeinen Erpressungssucht in seinem Hause zu Florenz, und er wird alt, – o: auf die Kniee fallen, auf den Knieen zu dieser armen Seele hinüberrutschen, die schlaffe Hand, die kraftlos niederhängt, ergreifen, küssen, inbrünstig sich an dieses bürdevolle Herz anpressen und aus dem heißen Herzblut rufen: »Du! Du bist!«, – das würde er! Denn auch der Geist von diesem Werke redet klar! Verstand sich leicht! Ein Mensch, dem gar kein Leid der Seele erspart geblieben und der sich Gott als Jesulein vorstellen mußte, so grausam viel an Weh und Hang und Drang nach Liebe, Erbarmen, Segnung lohte in seiner wunden Brust, – dieser Mensch schuf sich den Gott als Schöpfer, vor dessen Unmaß die Maße selbst der größten Geister versagen; als Schöpfer, der in der Wildheit seiner Elemente schwelgt, im Prunk der menschgeschaffenen Schönheit . . .
» . . . . menschgeschaffenen Schönheit?«
. . . im Prunk der menschgeschaffenen Schönheit menschlich lächelt, und dann mit Schlangen straft, hart, unerbittlich; und – mit seinem Christus die Böcke in die Hölle stößt. Und schuf damit: die höchste Kunst!
Was aber, wenn Form und Geist des Werks so deutlich sprachen, winkte dann? Was mahnt? Was flüstert?
Und quält so? Heraus damit! Gewalttätig hob er die Augen. Ja, heraus damit! Einmal muß es gesagt werden! Gewiß: daß seine Seele sorgte, indem sie rastlos gierig, von nichts erschütterbar, den Eingang in den Tempel dieser Kunst suchte, – Angelica hat es gefühlt. Also ist es wahr! Aber: ob dies Sorgen auch Frucht brachte? Erzeugte? Erzog? Wieder senkte er den Blick. Doch! »Es muß schonungslos herausgesagt werden: wir pfuschen alle!« Nicht nur er! Ein Instinkt, nicht Wissen und Erkennen, sagte es ihm: In Mengs, welch starre Gebundenheit ans Vorbild! Wenn Winckelmann den Apoll beschrieb, – wo waren die Kunstwerke, an welchen verglichen dieser Dithyrambus zur Schwärmerei auswuchs? Angelica? »Verzeih es, schöne Seele!« Angelica, als Künstlerin, ist: hoffnungsloses Beginnen, in Spuren zu wandeln. Selbst Tischbein, – was vermag er eigentlich? Und Bury, Schütz, die andern? Als ob ihn eine Fliege stäche, zuckte er auf. Sie konnten nicht einmal richtig schreiben! Ihr Geist denkt nicht organisch. Sie mühen sich nach den einfachsten Binsenwahrheiten mit der Anstrengung von Titanen. Und haben sie ein Körnchen gefunden, dann liegt daneben, komisch genug, die Riesenharke, mit der sie es gegraben. Und dieses fortwährende, krampfhafte Sichbeschäftigen mit Kunst und Kunstwerk, hier überschätzend, dort überhaupt nicht sehend, bald wahllos gieriges Sammeln, bald hochmütig kritisches Sondern, – war es nicht Manie? Spiel mit schönen Leichen? Da neues Leben doch allein im Künstlergenius erstehen kann? Er aber erst! Er, Goethe! Dem eine Kunst gegeben war! Der, wie im Traum, aus jedem Stein, aus jedem Herzschlag Leben zaubern konnte! Ihm schwindelte. Was preßt so nieder da? Nagt so, so unbarmherzig? Tiefaufatmend, widerstrebend, mit dunkler rechter Hand am Chorgestühl sich haltend, ließ er sich niedergleiten in den Boden. »In Paestum,« – in heftigen Stößen kam es aus der Brust – »welch' klare Sicherheit! In Sizilien, was für ein genaues Wissen von der Berufung! Und hier?« Verzweifelt riß er sich zurück. »Du, Michelangelo!« In angestrengter Sammlung hetzte sich das Auge in den Jeremias, der Michelangelo selber schien. »Du! Sprich du! Weise! Winke! Deutlich!«
Umsonst, es blieb grabstille.
Blutlos, Minuten später, als er wie ausgetrieben aus der Kapelle die Treppe zu Sankt Peter aufwärts stieg, war sein Gesicht. Es ward nicht nur nicht Licht, es wurde immer
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