Goethe
Gesetze finden, nachfinden, nachempfinden, nach denen diese Welt – Stoff und Idee – gebaut ist, in hellen Stunden gelingt mir auch das! Und noch mehr! Ich hab's zwar nie versucht, mich darin zu üben, – aber: was Ton ist, komme er nun kaum hörbar aus den Elementen selbst, oder deutlich aus lebendigem Munde, oder erstarkt, verwoben mit anderen, gebogen nach Willkür des Künstlers, aus dem Instrument, – auch ihn erfaß ich; was er will, bedeuten muß, wie er entschleiert, wo er nicht einmal nachzuprüfen ist. Aber: Linie, Licht, Schatten, Farbe, Form, Gestalt, – den himmlisch schönen Körper dieser Welt, das Schöpfungs bild , Angelica, – wie faß ich das? Wie zähm ich diese Fülle? Wie beruhige ich mein heißes Auge, das dieses Bild, – ja: knieend, möcht ich sagen, sieht? Dem keine Lust, nicht ein Gesicht von dieser Überpracht entgeht? Da steh ich, geh ich, wandre ich in nichts als Schönheit! Schönheit Tag und Nacht um meine Augen! Und nicht: die fliehende. Nein: ewige, immer wieder sich gebärende, runder, reifer sich vollendende! Und gehe, stehe, wandre kraftlos! Ohnmächtig! Den ganzen Menschen voll Gebet zu ihr, – und keine Waffe, sie mir einzufangen! Was wollen, können wir Geschöpfe andres denn als: nachschaffen? Als, Ebenbilder des Schöpfers, wieder Ebenbild erzeugen? Und ich – kann's nicht! Besessener, glühender als viele von euch, – wie ein Schulknabe reiße ich falsche Linien! Mische falsche Farben! Karikatur ist, was ich mache! Und bin ich zwanzig Jahre alt? Ein andrer hätt' sich lange schon gesagt: Umsonst! Da liegt der Fels von einem Tasso! Der Berg von einem Faust! Keck daran! Und ich? Ich ringe, raufe, bettle, schinde mich und euch, schände die heilige Natur, die meinen Händen widerstrebt, und will es zwingen! Und das soll Sorge für die eigene Seele sein? – Angelica!!« Und wild – wo hemmte noch ein Zügel den zerrissenen Geist? – sank er zu ihren Füßen nieder. Die Arme, die nach ihrer Tröstung lechzten, um sie, die lächelnd weinte, fest geschlungen, das Haupt wie einer Mutter in ihren Schoß gelegt. O, streichelt, streichelt, streichelt nun, ihr gnadenvollen Hände! Schlag nun, du Engelspuls an dieser bangen Brust! Wo soll ein Mensch denn Zuflucht finden? Darf er nicht Zuflucht finden? Still, selig, während sie in hellen Tränen schmolz, ließ die Verklärte ihre Finger durch die Locken schmeicheln. »O, goldner Tag! Er ganz bei mir!« – »Wie mir der Jammer gut entflieht!« schien ihr der Mund in ihrem Schoß zu lächeln. – »Heb dich nur auf,« gab sie verschwiegen Antwort, »du mußt es fühlen, einmal, wie dies Herz da glüht!« Und sanft, ein Jüngling fast, nur Ehrfurcht, Glanz und Glaube, hob er das Haupt, den Mund: »Angelica,« – ach, wie er leuchten konnte! – »Dein Herz hab ich geküßt!«
»Ja, dieses wohl!« Als risse ihn der Zorn des Geistes, das Joch der Einsamkeit, das Eis des unerbittlich angelegten Panzers zurück, sprang er empor. » Das sorgt für seine Seele! Aber ich? Bin ich denn Seele? Ist mein Ziel denn Seele? O, reden Sie nicht!« Ein Krampf zerriß ihm Haltung, Vorsatz und Gefühl. Im Sturm ergriff er ihre Hände wieder, hielt sie wie gegen Raserei an seine Brust. »Ich bin nicht gut! Mich drückt nicht eine Schuld nur! Wohl oft, im Rausch von Glück, auf Himmelswoge, wunschlos, Lippe und Hände voll von Wundern wie der Erwählte, dem, was er liebt, in seinen Schoß fällt, steh ich da, in diesem Lande, das mich neu geboren. Oft aber, – den nächsten besten Eseltreiber, Karrenzieher beneide ich! Er sieht nicht, hört nicht, fühlt nicht! Ihm singen nicht die Engel, ruft kein Teufel! Er weiß nicht, und darum, er kann nicht schuldig sein an seinem Weg! Sie kennen mich nicht! Man überschätzt mich, und ich dulde es! Man sagt mir, daß ich gebe, – nehmend laß ich's sagen! Man mutet mir den Flug in den Olymp hin zu! Ich krieche wie die Gemeinsten, – aber laß es sagen! Ja, wenn ich wäre so, wie Sie: arglos, harmlos, gefeit von innen gegen Betrug und Duldung jedes falschen Ruhms! Dann, ja dann wär' es Seele, dieses Kunst-Versuchen! So aber, – so, wo einer, der des nächsten Besten schon nicht würdig ist, sich selbst erst suchen geht . . .?!«
»O Kind!« Kaum, daß sie selber wußte, daß sie sprach! O, durch die Wüste pilgern, Jahr um Jahr, luftlos und grünlos, ohne Quelle und Erbarmen! Und, plötzlich, in seinen eigenen nie geweckten Armen den heißen Flaum des Adlerflügels halten! Als wäre sie ein
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