Goethe
darf, in der Jugend seiner entfesselten Bewegungen. Und das Herz, das niemals Jugend und Liebe ausgetrunken, keines Tages Sonne jauchzend geschlürft und keiner Nacht Wonne schaudernd gekostet hatte, schlug ihr wie vor der Lust eines himmlischen Traums.
»Wenn ich so denke!« Die Stirn hart an das Fenster gepreßt, an das er, als riefe das Gewitter in seiner Brust nach nichts anderem als nach Gewitter, geeilt war, und den Regen auffangend mit durstigen Händen, sprach er in wachsendem Aufruhr. »Daß ihr habt, was ich nicht habe! Spielend vermöget, was ich nicht erlangen kann, auch wenn mir die Pracht aller römischen Dinge das Blut versengt und die sehnende Seele erstickt! Und daß ich, . . . ach Gott!« Laut trat er vom Podium herab. »Um die andern mag nicht so schade sein, wenn es mir nicht gelingt, sie zu wecken. Ihnen mit Kuß oder Rute beizubringen, daß die Kunst – wenn man sich schon einmal als Künstler fühlt! – nicht eine Beschäftigung, keine Liebhaberei und kein Handwerk ist, sondern: Dienst im Gebot eines unerbittlichen Herrn. Der kennt keine Rücksichten! Keine Geliebte, keine Braut, keine Gattin, keine Kinder, – keinen Herzog, keinen Staat und kein Volk! Nur die Arbeit! Tag und Nacht Arbeit! Im furchtbarsten Norden, oder hier! In Zweifel und Glauben! Im gemeinsten Schmerz – Herzweh oder Zahnweh, – und im staunendstem Glück!« Wie erschöpft ließ er sich wieder nieder neben der Frau. »Wie gesagt: die anderen, – in Gottesnamen! Aber Sie! Denn Sie sind ein ganzer Mensch! Eine vollkommene Seele! Nur sagt es Ihnen niemand, – außer mir!«
»Ja,« setzte er bebend, mit tyrannischem Blick, hinzu, »schaudervoll, sträflich und Frevel! Verbrechen, daß Sie den Mut nicht aufbringen, das völlig auszuwirken, was in Ihnen ist!«
»Und Sie?«
Trotzig: »Was meinen Sie?«
»Jener Stoff, der Sie in Sizilien so beschäftigt hat als die Bestätigung dafür, daß Sie – wie Sie sich ausdrückten – das Nest endlich gefunden haben? Was ist mit ihm?«
Gefährlich stand er auf. »Nichts.«
»Und mit ›Tasso‹?«
Mit den zappelnden Füßen den Boden zu wetzen begann er. »Auch nichts.«
»Und mit dem ›Faust‹?«
»Sie sind also auch der Ansicht, daß ich in Rom faulenze?« Atemlos, leibnah vor die Erschrockene hin trat er. »Leugnen Sie's nicht! Sie befinden sich ja auch mit dieser Meinung in der besten Gesellschaft! In Weimar pfeift es jeder Spatze vom Dach! Und es ist ja auch wahr! In einem Jahr vollkommener Freiheit habe ich nicht mehr zustande gebracht als: die Neuredigierung der Iphigenie und des Egmont!«
»Und dabei, müssen Sie wissen,« – wie ein Felsen von unabschüttelbarer Furcht legte es sich über der Frau pochende Brust – »kräht langsam kein Hahn mehr nach dem Dichter Goethe! Der Ruhm ist im Verglimmen! Eine Auffrischung des Funkens täte höllisch not! Schiller, – spielend wird er mir über den Kopf wachsen! Und dennoch! Und dennoch!« In beide Hände vergrub er das Gesicht. Senkte es tief. Vom schweren Atem hob sich gewaltsam die erschütterte Gestalt. Kein Donner mehr störte die Stille der schwarzen Betrachtung. Kein Blitz strahlte mehr Licht in das Finster des Busens. Gleichmäßig, in selig niederfallendem Strom, der von den erblichenen Dächern lächelnd aufgetrunken ward, vom ausgebrannten Stein und den gelöst, wie zur endlichen Rast, hingedehnten Formen des Landes, rauschte der Regen. »Und wenn es nur einer, irgendeiner, eine einzige Seele begriffe: daß die Hälfte des Lebens Warten ist, Aufhorchen, Hinlauschen, Saugen, Schlürfen, Trinken, – was!« Mit einem Ruck erhob er sich. »Im Gegenteil! Die andere Hälfte des Lebens ist Einsamkeit! Und das ist gut so!«
Wenn ich jetzt, fuhr es wie süße Versuchung durch die Seele der Frau, das Wort aussprechen könnte, das mir wie inbrünstiger Zwang auf dem Herzen da liegt! Die Ketten abwerfen könnte, die mir das Leben angeschmiedet hat, nur für einen Augenblick, um einmal, nur für einen Augenblick, aufzufliegen in die schwebende Wolke des Glücks! Der Verehrung! Des Glaubens an Einen, – in den Himmel des seligen Verstehens eines Zweiten! Und voll von der Glut ihrer schön gebändigten Natur, folgte ihr Auge jedem Spiel seiner Miene, jeder Regung, Bewegung, die sein ringendes Innere durchstritt. O, vom ersten Blick an, vom ersten Wort an, das er zu ihr gesprochen, – das ist der Unerbittliche! hatte sie gewußt. Er scheint einfach, wenn ihm das Schicksal seiner Ideen Ruhe beschert. Er ist
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