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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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altgewohnten Freude darüber, daß neben der Wonne, dicht neben der Gestalt des Glücks, der schwarze Genius des Leides schwebte, und aus der tiefsten Brust kam ihm Gottvaters Deutung: mein Atem! Als er sich nach langem Schauen, mit scheu rührender Hand entschloß, das Kind zu fragen, was ihm auf dem Herzlein liege, das Häuptlein ungläubig ihm zugewendet sah im dichten Kranz der Schmerzen, focht ihn auch der Prunk des Altars nicht mehr an, von dessen Gold und Edelstein herab der Glanz des Sakraments das Kind bestrahlte. Das tränenüberströmte Gesichtlein war lieblich. Wirr fuhr das nasse Haar um das Oval herein in die unschuldige Stirn. Zarte Händchen hatte das Geschöpflein. Knospenbrüstchen spannten das ausgewaschene Mieder. »Du,« bettelte er nach gern geduldigem Weiterwarten endlich, »vertrau mir's! Sag mir's! Schutt den Kummer aus! Vielleicht kann ich doch helfen?«
    Als das Mädchen nur traurig nickte, schlang er den Arm um den geplagten Rücken; kniete neben dem Kinde nieder und lehnte sich das Köpfchen an die Brust. Auch nahm er beide Händchen in die Hand. Es gäbe doch für keinen, der auf Erden wohne, sagte er liebreich, fremde Menschen. »Wir sind doch alle vom gleichen Vater?« O, es lebten freilich Böse, Harte, die nicht fühlen, was dem anderen wohltut. »An diese wollen wir nicht denken!« Ob es an Christum glaube?
    Fassungsloses Weinen.
    »An die Mutter Gottes?«
    Noch tiefer sank das arme Häuptlein.
    »Nun denn!« Noch fester bettete er das fremde Brüstlein. Dann sei nicht zu verzweifeln. Wenn es in die Kapelle hinabgehe, die die erste rechts vom Tore ist, dann sehe es die Mutter Gottes, die ihren toten Sohn im Schoße ruhen hat. Ihr einziges Kind. Das hat keine Fliege getötet. Die Menschen schlugen es trotzdem ans Kreuz. Nun hat sie nichts mehr. Dies Kind war doch ihr Alles. Kann das verwunden werden? Wohl: Gott selber hat durch seinen Engel ihr einst verkündigt, sie solle die Mutter des Erlösers werden. »Denk nur: gibt es was Heiligeres, als ein Kind bekommen, das alle Menschen, – auch die bösesten! – wenn sie nur wollen, erlöst? Und das heißt: voll Hoffnung macht, daß aller Jammer, den man hiernieden leidet, aufhört, wenn man nur recht vom Herzen Recht tut? Und da hat nun derselbe Gott, der ihr das sagen ließ, es zugelassen, daß ihr dies Kind am Kreuze starb? Ist das ein Gott? Ist das die Güte Gottes? Gottes Liebe? »Denk nur, wie trostlos, ohne Stab und Hilfe, die arme Mutter war! Ich glaube: solch einen Schmerz hat niemand noch erlitten, und wird wohl niemand je mehr leiden. Und dennoch!« Stark hob er das Kind sich von der Brust weg, sah es mit großen, fleckenlosen Augen an. »Du, sage! Was geschah nachher? Trotzdem?«
    Das Kind, jetzt schon im Bann von seinen Worten, schwieg, als suchte es; die Tränen rollten linder über die Wangen.
    »Sag, was geschah nachher? Ist er nicht auferstanden? Wurde er nicht der Fürst des Himmels?«
    Des Kindleins Augen forschten; fanden nicht.
    »Und sie, die Muttergottes, ist sie nicht bei ihm?«
    Das Kindlein senkte den gezwungenen Blick.
    »Und geht sein Name und ihr Name nicht heut noch durch die ganze Welt? Und wohin pilgern wir, wenn uns das Herz zerbricht? Wo suchen wir denn Zuflucht? Doch bei ihnen? Nicht?«
    Nun, ohne daß sie es wußten, traulich, schlangen sich die Ärmlein um seinen Hals; es schlossen sich die Lider.
    »Wenn man, zum Beispiel, schwer krank wird, oder man bekommt unverdient Schläge und härmt sich darüber, oder etwa, man ist arm, aber nun fand dein Vater ein Goldstück, du aber verlorst es . . . .«
    »Nein, nein!« Ein einziger Schrei. »Gestorben ist sie, gestern!«
    »Wer?«
    »Die Mutter.«
    »Woran?«
    »Am Fieber.« Und während sich der junge Leib nun, dem wie süßes Feuer die Wohltat des Sichanvertrauenkönnens durch die Glieder rann, in Schmerz und Ohnmacht wand, kam es wie Strom aus der verquälten Brust. Sie seien neun Kinder. An der Lungara draußen, in Miete beim Verwalter des Grafen Corsini. In der mittleren Stube starb die Mutter. Der Arzt hatte, als das Pulver nicht half, die Wahrsagerin holen geheißen. Die gab Nießwurztee. Auch dieser half nicht. Sie starb gestern abend um neun Uhr. Siebenunddreißig Jahre alt. »Vor vierzehn Tagen ging ich noch mit ihr . . .«
    »Wie heißest du denn?«
    »Regina.« Vor vierzehn Tagen ging sie noch mit ihr zur Wirtschafterin beim Kardinalnepoten. Die gab ihr die Wäsche – die blaue – zum Ausbessern mit. Seit zweiundeinhalb Jahren. »Und

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