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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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taub, und findet's nicht! Das Einfache, ach, so göttlich Einfache: daß auch der Künstler ein Geschöpf ist, Stück Natur; und drum auch, was er bildet, nur: Natur!« Ja, freilich, jetzt hat die Sixtina kein Geheimnis mehr, als auch der Halm, der aus der Scholle wächst! Apoll? Ein Schmetterling. Die Stanzen Raffaels? Narzissenwiesen. Der Torso? Ein Vulkan. Das ganze Land der Kunst? Ein Land wie anderes Land. Vier Elemente in gemäßer Mischung; Zeugungskraft und Fruchtbarkeit in dieser Mischung schon von Anfang eingeschlossen; dann: Blühen, Reife, Frucht . . .
    »Verwelken, Winter auch?«
    »Auch: Jahreszeiten?«
    »Wäre das « – überwältigt stutzte er – »der Ausgangspunkt zu einer Kunstgeschichte? – O, Michelangelo!« Das Auge Michelangelos im Aug des Jeremias war es nicht mehr, das seinem flammenden Blick von oben nun begegnete. Lichtlos starrte die Decke der Sakramentskapelle auf ihn nieder. Und trotzdem: Äther, heller, hellster Äther. Denn der Gottvater Michelangelos, mit Seherlächeln reckte er nun, ja mit der Miene fast verschmitzt lichtgebenden Vaters seine luftumwogte Hand nach seinem ersten, erdgeschaffenen Menschen aus. Da lag der Staub der Erde schollgerecht unter dem eben erstandenen Leibe. Die Wolke schwebte um das staunend hilflose Haupt. Die Sonne lag in breitem Strahl über dem leise, vom ersten Atem gehobenen Busen. Des Wassers Kreislauf lief die neuen Glieder durch. Das Tier wartete ringsumher der Freundschaft und der Zähmung. Gottvater aber sah dies alles lächelnd, und sah noch mehr! Die Lust, ein Gott zu werden, so wie er, sah er hinter der noch unvertrauten Stirn im Kerker des noch ungeübten Hirns erstehen. Sah: wie auf einmal diese Lust, gleichgültig scheinbar gegen die Schicksalsmächte, die aus ihrem Werden wachsen mußten, die Stirne sprengt, das Herz ergreift, das Blut erreicht, die Glieder aufreißt, schwellt und anpulst; und wie sich Scholle, Wolke, Sonne, Wasser – alles Leben! – in jäher Furcht aufbäumen, wütend, gegen diese Lust, die Stirn verdammen, aus der sie sprang, und qualvoll schreien, zu Ihm empor: »Sind wir nicht Gleiche, alle? Oder: gabst du den Menschen uns, daß er vergewaltige, was du selber schufst?« Gottvater aber lächelte nur. Und plötzlich stand ein Marmorbild, fast noch in der Hand des Menschen, der es gebildet hatte, vor dem Chor der Welten. Ein Lied flog plötzlich auf und rauschte, Glück – oder Sorge lösend. Die Melodie der Farbe, geholt aus einem Regenbogen, lohte plötzlich vor trunkenem Auge erdauf in den Himmel. Das Wort des Mundes, plötzlich, war es Laut des Herzens und sprach nun mit den Lippen Geweihter leicht alles aus was eine Seele zu bewegen weiß. Und zweifelnd, bange, hoben sich die Arme der erstaunten Menschen, die nun zum erstenmal zu sehen, zu hören und zu fühlen wußten, empor zu Ihm und fragten: »Sag was ist dies Neue?«
    Er aber, Gottvater, lächelte vom süßen Drang des Schöpfungstages weg und über Sintflut, Prophetie, Erlöserkreuzigung und Gericht hin den ersten, hilflos stummen Künstler an, die Welt, die Menschen an, und sprach: »Das ist genau so, wie – die Wolke schwebt; so, wie die Sonne scheint, die Erde treibt, die Welle rinnt, –: mein Atem!«
    »O, Michelangelo! Du Licht! Du, endlich Licht! Du größtes . . .«
    Wie abgerufen, mitten drin im Lob des höchsten Dankes, hielt er ein. Zog er das Auge zurück. Ließ es sogleich im Raum, den nur die Leuchte des ewigen Lichts erhellte, eilig suchen. Was – weinte da?
    Vorsichtig, auf den Zehenspitzen, schritt er zum Altar vor. Ein Greis? Ein Krüppel? Eine Sünderin?
    Bolzengerade blieb er stehen. Ein Kind.
    Ein Mädchen. Zwölf, dreizehn Jahre mochte es zählen. Das Flackerlicht der Lampe floß malend über das schwarze Häuptlein, das weinend tief im Stein der Kommunionbank lag; über das enge, ausgewaschen blaue Kleidchen, unter dem der schmale Rücken zuckte; und über die nackten Füßchen, die sich im Takt des Weinens weh bewegten.
    Die längste Weile unbeweglich stand er. Sah, hörte er. Ihm war der ganze Mensch zu voll vom wunderbaren Licht, als daß ihm aus dem armseligen Bild, aus Ton und Rhythmus dieses Schluchzens, das ohne Unterlaß das fremde Menschlein rüttelte, nicht die Harmonie der Sphären, der Chor der Cherubim und das Geheul der Teufel erklungen wäre. Lächelnd willigte er ein, daß an ein Wunderbares sich das zweite schloß. Mit unbewußtem Neigen, Heben des umrauschten Haupts begrüßte er die Wiederkehr der

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