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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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dunkler! Das Netz umstrickte ihn, er hatte nicht die Kraft, die Fäden zu zerreißen. Dazu: die Kirche völlig leer. Ungewisses Halblicht füllte ihre Höhen. Aus dem Kuppelraum floß letzter Schein. Die Höhlen der Kapellen klafften wie riesenhafte Mäuler ins Mittelschiff heraus. Schwarz stand im linken Kreuzschiff vor ungeheurem Pfeiler die Kanzel des Großpönitentiars. Die Lichter, die auf den Geländern der Kryptastiegen brannten, zuckten flitterig über den verlassenen Marmor. In häßlicher Einsamkeit hob der Hauptaltar seine gewundenen Säulen über Gold, das ohne Ruhe blinkte. Vor dem erzenen Petrus kniete ein alter Mann. Aus dem Tor der Sagrestia trat ein Priester im Chorhemde, begleitet von zwei scharlachroten Ministranten. Verschwand wie Traum im weiten Zug des Dunkels. Sogleich begann ein Glöckchen schwach zu klingeln. Kam Volk herein? Murmelndes Gebet erscholl. Aber verklang gleich wieder; so, als ob die Gasse Volks mitsamt dem Priester eilends durch die Mauer der Kirche hinaus in den Camposanto der Tedeschi gezogen wäre und dort Gottesdienst hielte. Die Capella der Pietà? Mein Gott, in kalter, unerreichbarer Ferne! Die Cathedra in tiefster Fremde! Vielleicht, in einem der Beichtstühle, starb ungehört in diesem Augenblick ein Aussatz? Vielleicht, im Finster der Capella der Colonna, hielt sich ein Liebespaar umschlungen? Vielleicht, unterm matten Schein der Kommunion des heiligen Hieronymus, gebar eine Mutter?
    Plötzlich, mit ungeduldigem Schritte, ging er, an der Capella Gregoriana vorbei, in den Raum unter der Kuppel. Erkannte noch das Geländer des Saumes, die Pfeiler des Tamburs, und tauchte nun den Blick in die Laterne. Das Licht troff bleich. Da droben – war der Himmel. Und das, worauf er stand, war das die Erde? Der Bau der Kuppel, die von sanft gestorbenen Farben erblichener Mosaike kaum noch glänzte, in freier Kühnheit sich aufschwang über überwundenem Raum in eine Zone, wo kein Raum mehr galt, – ist sie ein Gleichnis? Vermittlung zwischen Hier und Dort? Ein Griff des Menschengeists in Schöpfernähe? »Doch – jedenfalls: Natur! Nicht Kunst! Natur! «
    Dies Wort, dies jähe Wort, – wo klang es jetzt? Er wandte sich um. Unermeßlichkeit bezwungenen Raumes überall. Er drehte nach Osten hin. Urform und Unform von Stein, Metall und Luft, mit Leichtigkeit gebändigt. Von neuem umgewendet! Der Mensch verschwindet hier. Hier erscheint sein Kommen, Gehen, Beten, Staunen wie Willkür; und dennoch völlig ebenbürtig dem Walten dieser Maße. Nach Norden drehte er nun. Wohl: ringsum Dunkel. Auch dieses aber beherrscht von einem Auge, das den Gegensatz von Licht und Finsternis erfahren hatte und sich die Welt aus diesen beiden Mächten baute. Im Fluß der Dämmerung, der über diesen Harmonien niederrann und aufstieg, in diesen Helligkeiten, die wie aus genau gemessenen Brunnen aufquollen und wie aus gewissenhaft gebildeten Himmelslücken niederschwebten, fand Auge, Herz und Geist des Menschen dieselbe Möglichkeit des Ruhens, des Sichvereinens mit dem Kosmos, wie – im tiefsten Hochwald; wie an der Meeresküste; am Busen der Geliebten! Stell einen blühenden Pfirsichbaum herein unter die Bogenwölbung dieser Apsis, und du erkennst sogleich . . .
    »Sogleich? Sogleich?«
    Ein Beben lief durch seinen Leib. Dies also war das Licht? Hier also ging es auf? Hier ward es helle? Als ob er sich, die Welt, den Schöpfer neu erkennte, mit einem Jubelschrei fiel er zu Boden nieder. ». . . und du erkennst sogleich: der Ursprung dieser Wölbung ist der des Pfirsichbaumes auch: Geschaffenwordensein. Ihr Sinn gleich wie der seine: Lebentragen zum Beweise von des Schöpfers Reichtum. Mit einem Wort: Natur in beiden, in Natur und Kunst!«
    »O, Michelangelo!« Himmlisch befreit lachte er. Ein Schauer Wonne, das herrlich strömende Gefühl, nun Bruder, in einer einzigen Sekunde Mitgenosse aller größten Künstler, Mitgeschöpf mit allen ihren Werken, die so folternd gequält hatten, geworden zu sein, überrieselte ihn wie Frühlingsregen. Das also hatte von der Decke der Sixtina herab gewinkt seit Tag und Tag? Das geflüstert und gemahnt? »Und da geht einer« – jung wie Herakles, als er ausschritt ins Königreich von seinen Taten, erhob er sich, schritt wahllos weiter – »da geht einer, der alle Geschöpfe, vom Wurm auf bis zur Sonne, brünstig liebt, dem, wo er wandelt, wo er rastet, die Offenbarung vom einen Grund und Wesen alles Lebens wird, – da geht so einer monatlang umher, blind,

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