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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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Sonne sich regten, »nein! einmal mußt du mir noch ganz aufgehn, Sonne, bevor ich da scheide, und dieses tiefste aller Geheimnisse lösen!« Der See aber, unter der heißen Bitte dieser Augen, bekam alle Farben des Regenbogens. An seinen Ufern schwollen die Wellen smaragdgrün, mit einem Hauch vorwinterlicher Kühle im Ton, an die felsigen Wände. Zur Rechten des Pfads verlachten ein scheckiger, noch großblättriger Kastanienwald, unterhalb eines Gartenhauses noch viel siegreicher drei hohe Sträucher weißer Rosen, die noch kein Reif getroffen hatte, die Nähe bitteren Herbstes. Zwischen den Terrassenmauern, die vom Palaste Ruspoli herab nach dem See sanken, schaukelten im Fächeln der Tramontana die festgestammten Steineichen, ein Hain von fast schwarzem Lorbeer und, hochschwebend mit Federn über der Steife dieser Kronen, die helle Grüne einer Palme. Efeu kletterte dem Steigenden um die Füße. Bambusblattrieseln traf seine Schultern. Das Auge aber, das gierig umhersuchend jedes Element um Hilfe anrief in diesem letzten Kampf um das Licht, sah alles zugleich: die kindliche Unbesorgtheit des Dezemberfrühlings; die geschwungene Kuppe des Cavo; das Gewoge der Parke und Wälder, wie es die gebreiteten Hänge auf Genzano herabwallte; vor dem scharfen Schattenriß von Genzano den Palazzo Cesarini; hinter seinem dunkelblauen Firste die goldene Ferne der Hügel und Täler im Schleier der bunten Verklärung; über diesem Schleier den Himmel ohne Wolke und Regung; und hoch oben im Osten dieses Himmels die Sonne, zu der es, wie ein Pilger zum Wunderbild, emporbetete.
    »Welches Lied?« drängte Burys hartnäckige Stimme zum zwanzigstenmal.
    Ja, welches Lied? Aber der Betende antwortete auch jetzt nicht. Der Herkuleskopf, den er vor Monaten modelliert, das Kinderköpfchen, das er gezeichnet, die rechte Hand des Antinous, die er genau – mit unsäglicher Mühe – festgelegt, die vier Leichen, die er, als sie schon stanken, mit bohrendem Aug um die Namen des Geheimnisses gefragt hatte, – was hatten sie bewiesen? Die Büste, die Trippel von ihm gearbeitet, der Apollokopf, über den sie feuerrot stundenlang gestritten, die unzähligen verborgenen Besuche im Vatikan, im Capitolinischen Museum, in der Villa Albani, in der Villa Ludovisi, in der Villa Borghese, im Palaste Giustiniani, im Palaste Farnese, bei Cavaceppi und Menágeot, – was hatten sie dargetan?
    Todmüde auf einmal und ohne Hoffnung, ließ er sich im letzten Weinberg unter den Mauern von Nemi nieder. Ergriff den liebevoll herabhängenden Zweig eines Ölbaums und nahm eines der silbernen Blätter zwischen die Lippen. Als er vor den Leichen gesessen hatte, – was? Er hatte erst wieder vor Leichen sitzen müssen, um zu entdecken, daß der menschliche Körper aus einem kindlich einfachen Gesetz heraus war gebaut worden? Wer diesen Körper nun aber nachbildete, Natur nachbildete aus einer naturgeschaffenen Fähigkeit heraus, – mußte der nicht den Instinkt für jenes Gesetz in sich tragen, so, daß er nicht anders nachbilden konnte , als wie der Schöpfer vorgebildet hatte? Die Proportionen, wie sie Polyklet aufgestellt und Vitruv, verbessernd, überliefert hatte, – spöttisch lachte er: die lehrte jede Statue! Ihnen nachzufühlen, Kinderspiel! Wie aber stand es, wenn man die Proportionen schon in den Fingern oder, wenigstens, im Gehirn drin sitzen hatte, mit den Typen? Der Schöpfer hatte Rassentypen geschaffen. Die Kultur in der Rasse aber schafft von selbst wieder Typen innerhalb der Rassen. Der Künstler, der dies alles weiß, von selber wieder, innerhalb dieser Untertypen, seine Typen. Und gibt ihm nun die festgeprägte Mythologie einen Zeus zu bilden auf oder eine Athena, – was tut er dann?
    »Er gießt oder meißelt die Idee dieses mythologischen Typus in jene Formen von Schönheit, die er , in Korinth, oder Argos, oder in Theben, aus den Formen des dortigen Rassetypus als die typischesten für sich ausgewählt und zu seinem Kanon gemacht hat.«
    »Was? Was? Was??« fiel ihn Bury heiß an, »was reden Sie da?«
    Und was folgte aus dem allem? – Getröstet lächelte er. »Du verstündest es doch nicht, mein Junge! Es ist noch kraus in mir; sehr verworren. Ich redete wohl nur, um zu versuchen, ob man es überhaupt ins Wort fassen könnte. Es ist meine Art so; vielleicht völlig absurd.«
    »Aber was ist es?«
    »Ein Geheimnis.«
    »Am Ende das ›Prinzip‹, von dem Sie so oft reden?«
    Verblüfft: »Ich sagte doch nie etwas vom Prinzipe?«
    »Nur

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