Goethe
Aufpochen des Feuers unter seinem Boden, wie soll der nicht seine Wasser in tönender Bewegung schieben zwischen diesen zwei Antrieben, die ihm sein eigenes Wesen erst recht zum Bewußtsein bringen? Alles wahrhaft Lebendige jedoch endlich, der Mensch, Tier und Pflanze, – gibt es nur einen Seufzer der Seelenbrust, der nicht wenigstens in ihr drin Melodie gebiert? Einen Laut der Bestie, der nicht nach Gesetzen der Musik wird? Und das Rascheln, Aufwachsen, Sichentfalten der Pflanze, jedes Sinken eines Blatts, jede Verstreuung des Samens . . .
»Ah?« Laut und herzlich lachte er auf. Das also war das Wunder? »Eine Flöte!« Eine Flöte ertönte über den Dächern des Städtchens. Im vielfarbigen Grün des Berges stieg ein Hirtenbub, blitzenden Hemds, mit seinen weißen und gelben Schafen fröhlich flöteblasend ins Weideland hinüber. »Eine einfache Flöte!«
»Ja, aber warum antworten Sie nicht?«
Aber nur noch ungerührter, fast wollüstig legte sich Goethe in die Erde zurück. Die Sache war ja noch selbstverständlicher, als diese Flöte glauben ließ! Wenn die Natur ihre eigene Melodie hat, – auch ohne daß Menschen in ihr leben, – was Wunder dann, daß eine Landschaft wie diese neben ihrer eigenen Melodie auch noch die ganze Historie der Menschen nachsingt, die auf ihr gelitten und gejubelt haben? »Du!« Als ob ihn die Erde auswürfe, fuhr Goethe empor. Wie? Wenn daraus hervorginge, daß jedes Geschöpf seinen eigenen Laut hat, daneben aber auch noch, – wenn es ein lebendiges ist! – den seines inneren Erlebens; muß dann nicht notwendig auch eine Statue nicht nur ihre eigenen Proportionen austönen, – dieses Kräfteparallelogramm von physischen Beziehungen – sondern auch das Leben, die Person ihres Schöpfers und die Kultur ihrer Zeit? »Fritz!« Fabelhafte Funken sprühte das Auge. »Im Palazzo Ruspoli soll ein Faun zu sehen sein, der die Flöte bläst. Wie wär's, wenn wir schnell . . . .«
»Nicht um ein Schloß! Erst müssen Sie antworten!«
Den gütigen Zweig des Ölbaumes langte der Besessene wieder an sich; nahm wieder das silberne Blatt zwischen die Lippen. Wenn das nämlich wahr ist, dann ist das Gesetz eines vollen Kreislaufs entdeckt! Die Musik ist das Wort der Natur. Die Proportionen des Menschenleibs sprechen es also gewiß ebenso vernehmbar aus wie jedes andere Stück Schöpfung. Je gründlicher es aber erlauscht wird, – vom musikalischen Ohr! – umso unwiderstehlicher muß es zur Kunst hintreiben: der Bildhauer meißelt es, der Maler malt es, und ich, – »Fritz!« rief er in ungeheurer Befreiung, »ich hab es!« – ich dichte es, indem ich das alles errate! Denn Dichten heißt Erraten! »Fritz! Du!!« Mit wilden Händen preßte er das Haupt in seinem Schoß, daß der böse verzogene Grollmund laut aufschrie. »Bursche, wenn mir jetzt die Statuen nicht eindeutig das Prinzip offenbaren, aus dem sie entstanden sind und nun jeden Tag neu erstehen können, dann will ich nicht Hans heißen! Denn jetzt halte ich den Schlüssel Nummer Zwei in der Hand da! Steh auf, Junge! Presto! Blitz! Wird's bald?«
Aber Bury – ja, was war nur geschehen? – Bury weinte auf einmal! »Ja was ist dir? Was hast du? Fritz!« Aber mit zornigen Armen umklammerte der Jünger die Knie des Mannes, den die ahnungeinhauchende Natur nicht mehr hielt, weil es ihn zum Steine zog, unerbittlich zum leblosen Stein in einem steinernen Palast. Und zornig war sein Weinen, zornig wälzte sich der Kopf im gefesselten Schoß, und von zornigen Lippen endlich schrie es herab: »Weil Sie kein Herz mehr haben! Gar kein Mensch mehr sind!«
»Es nicht einmal mehr merken,« schrie es rücksichtslos weiter, »vor lauter Statuen und Zeichnungen und Musik in Ihrem unmenschlichen Schädel drin nicht einmal mehr spüren, daß da vor Ihnen ein Mensch zugrundegeht!«
»Du?«
»Ja! Zugrundegehen könnt ich, bevor Sie nur einen Dunst davon kriegten! Ein gemeiner Faun im Palazzo Ruspoli kann Ihr Herz eher rühren als ein lebendiger Mensch!«
»Und warum gehst du zugrunde?«
Mit einem Satz schnellte der Zornige auf, kniete sich peinlich leibnahe vor die verblüfften Augen hin und grub ihnen den Strahl seines fordernden Blicks ein. »Antworten Sie zuerst auf das, was ich gefragt habe!«
Wie nach der einzigen Hilfe, die helfen konnte, sah sich Goethe nach dem Ölbaumzweig um; aber seine Arme und Hände waren eisern gebunden.
»Ich habe die Maddalena nicht geliebt,« sagte er endlich, steif nach der Seite abgewandten
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