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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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Gesichtes. »Denn ich habe ihr ganz bewußt, vom ersten Augenblick an, mein eigenes Leben, – wenn es nicht zu unbescheiden ist: meine Aufgabe vorgezogen.«
    »Übrigens,« setzte er, nach langem, trockenem Schweigen hinzu, »was hat das mit deinem Zugrundegehen zu tun?«
    Ohne ein Wort zu erwidern, löste sich Bury von ihm. Ließ sich von neuem zu seinen Füßen nieder, legte wieder den Kopf in seinen Schoß und blickte starr in den Himmel hinauf.
    »Du? Antwortest du nicht?«
    Nicht ein Wort.
    Und – eigentümlich! – der Hirte mit der Flöte war jetzt verschwunden. Die Flöte verklungen. Die Beete der Astern brachten keine rechte Farbe mehr auf. Die Formen der Erde schienen in einem sicheren Gefühl von sinkender Schönheit zu schwinden. Der Himmel verneinte nicht mehr die Frage: ist wahrhaftig Dezember? Der See verschlief in der Ergebung darein, seine Melodie verloren zu haben, so unerwartet verloren zu haben, wie die Schiffe Neros ihre Steuermänner in seinen Wellen. Auch die Schicksale der Häuser und Hütten da hinten mußten ganz plötzlich gestorben sein, so tief schwiegen die Hütten und Häuser. Und wenn man sich aufsetzte und mit streng aufmerksamem Auge rundum sah, mit gespitzten Ohren rundum hörte, dann erlauschte, ersah man nur soviel: in einem Weingarten unterhalb von Nemi sitzest du, in der Landschaft Albano, einige Meilen südöstlich von Rom, am eilften Dezember 1787, und bereitest dich vor, dieses Land – zu verlassen!
    »Heute vor zwei Jahren . . .«
    Erschrocken fuhr Goethe zusammen. »Was sagst du?«
    »Heute vor zwei Jahren,« wiederholte Bury, die Augen noch immer streng und starr droben im Himmel und das Herz voll von den Melodien seines reifenden Lebens, »ist mir folgendes geschehen: ich hatte in einer Villa in Tivoli übernachtet. Im selben Hause, aber durch den großen Saal, der vom Erdboden in das Dach hinauf durchging und leicht sechzig Fuß im Gevierte maß, von mir getrennt, schlief die Frau, die ich liebte. Sie war um etwa zwei Jahre älter als ich, an einen Mann verheiratet, den ich – natürlich! – nicht leiden mochte, und besaß drei schöne Kinder: ein Mädchen und zwei Knaben. Seit Monaten folgte ich ihr, wie man einem Stern nachgeht; er ist unerreichbar! Sie tat so, als sei ihr meine Liebe lieb, und wenn sie sah, wie ich mich nach ihrer Liebe sehnte, wußte sie mich so gut damit zu trösten, daß es mir doch nicht gleichgültig sein könnte, wenn sie schuldig würde; ließ mich also merken, daß sie mich, vielleicht, wohl lieben könnte, und wissen, daß sie mich nicht lieben dürfte. Was ihr das Leben bis dahin gebracht oder genommen hatte, sagte sie nicht. Ich erinnere mich nur daran, daß ich ihr einmal, an einem Sommerabend, unten im Garten vor dem Casino der Villa Doria, in meiner ungezügelten Art und mit meinen wilden Worten – ich fühlte an diesem Abend: sie muß mein werden, oder ich verdurste! – meine Liebe, meine ganze Liebe ausschüttete. Da sagte sie, – ich sehe noch das fast kindliche Lächeln um ihren wunderschönen Mund – sagte sie: wie sie etwa sein mag, die Liebe? – Ich erzähle schlecht? Was?
    »Weiter! Weiter!«
    »Natürlich erzähle ich schlecht. Immerhin! – Ich lag also die ganze Nacht schlaflos da in dem schönen Gemache. Sie hatte mir, natürlich, nicht das geringste Recht zu hoffen gegeben, sie werde in dieser Nacht zu mir kommen. Trotzdem, und gerade, weil ich ganz genau wußte: ginge ich zu ihr hinüber, sie würde mich ganz gewiß zurückschicken, war ich, ich weiß nicht warum, fest davon überzeugt: in der nächsten Minute wird die Tür aufgehn und sie hereinkommen! Liebe ohne Erfüllung, Sie wissen ja, – auch wenn man sie in Deutschland vielleicht einmal geliebt hat, in Rom liebt man sie nicht! Aber diese Frau mit ihrer vollkommenen Unverdorbenheit hatte mir so sehr die Augen über mich geöffnet, daß, sobald sie vor mir stand oder mit mir ging und ich mir eingestehen mußte: eigentlich begehrst du sie doch, willst vor allem ihren schönen, unwissenden Leib! – ich mich vor ihr in den Boden hinein schämte. Und oft gelang es mir für Tage und Wochen, ja Monate, – nein! Sie dürfen mir's glauben!«
    »Ich glaube es!« Denn – eigentümlich! – der Hirte mit seinen weißen und gelben Schafen kam jetzt flöteblasend aus dem Wäldchen oben im Berggang hervor. Sein Hemde blitzte wieder in der Sonne, das Lied seiner Flöte schwebte wie ein singendes Wölklein über dem See, über den Astern, über dem Weinberg, und die

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