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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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das Wort.« Und schnell, wie ein Kind an der Mutter, oder wie ein Liebender an der Geliebten sich niederläßt, ließ sich der Junge nieder zu den Füßen des Sinnenden; so, daß er seinen Kopf in dessen Schoß ruhen hatte und in den Himmel aufschauen konnte. »Also?«
    Ob man nämlich, fragte angestrengt das rastlose Gehirn rundumher und zuletzt wieder empor zur Sonne, wenn einem alle diese Folgerungen feststanden, daraus schließen durfte: wenn Lysippos oder Praxiteles einen Hermes zu bilden, – also einen Menschen nachzuschaffen hatten, der den Gott Hermes offenbaren sollte, – und sie kannten: erstens die Proportionen des menschlichen Körpers; zweitens den hellenischen Nationaltypus; drittens den Typus ihres Gaus zur Zeit ihrer Kultur; viertens den mythologischen Typus des Hermes; und hatten, fünftens, sich bereits ihren Formentypus, ihren Kanon gewählt, – mußten sie dann nicht nur ganz einfach das Stichwort »Hermes« sich zurufen und Marmor und Meißel nehmen, um gar nichts anderes schaffen zu können als: den Hermes ihrer Zeit? Den des Praxiteles oder des Lysippos?
    »Wenn ich dich nun fragte, Fritz,« – mit allen Gliedern in Bewegung richtete er sich auf, ließ den Ölbaumzweig los – »ob du es für möglich hieltest, daß ein Myron, ein Skopas, wenn man ihnen auftrug: Hera-Statue, nur ganz einfach hineingingen in ihre Werkstatt, die Täfelchen hervorholten, die all ihre Beobachtungen und Erfahrungen in Kunst und Handwerk folgegerecht aufgezeichnet enthielten, und nun gemütlich Marmor und Meißel nahmen, gar nicht mehr nachdenken mußten: wie? und was? sondern ohne weiteres . . . .«
    »Offengestanden,« – frech drehte Bury den Kopf so, daß sein Auge voll das fragende traf – »ich pfeife im Augenblick auf Skopas und Myron. Auf alle Künstler und die Kunst überhaupt. Denn hier ist das Leben! «
    »Auch die Kunst ist Natur!«
    »Aber höher als jede Natur gilt mir: das menschliche Herz in der Natur!«
    »Es ist auch nur Natur!«
    »Es faßt Kunst und Natur. Aber darüber hinan auch noch Himmel und Hölle. Oder: Ist etwa Gott auch Natur?«
    »Ich möchte,« fuhr er tollkühn fort, weil er fühlte: das hat getroffen, »ich möchte so gerne wissen ob Sie . . . .«
    »Ob ich?«
    »Soll ich?«
    »Warum nicht?«
    »Ob Sie die Maddalena, mit der Sie in Gandolfo soviel beisammen waren, geliebt haben, oder nicht?«
    »Ich meine nämlich« – ja, jetzt nur mutig drauf los! –: »die Liebe, die Frauen, – nicht die Weiber – das ist doch, für uns, ein Hauptsinn des Lebens Was erlebt man denn ohne das Herz? Wenn nicht das Herz einem Zweiten heiß zuschlägt, nicht das Herz unerbittlich befiehlt, sich ganz und gar hinzuschenken – was wird man denn wissen oder entdecken könne von der Welt? Da man doch nicht einmal ahnen kann, wenn man nicht liebt?«
    Goethes Antlitz, im Nu verändert, blickte scharf geradeaus über den First des Palastes Cesarini in die Wipfel der Bäume, die Albano zu standen. Es ist ein Etwas in diesem Morgen, dachte er, scheinbar urfeindlich Bury abgewendet, – ein Etwas, das ahnen läßt. Die Welt liegt lächelnd in der Schale des Morgens. Die Sonne, die herüberkommt über uns, ist verheißender als jene, die gestern abend im Meere ertrank. Die Erde hat alle ihre Geheimnisse freigebig aus ihrem Schoße getrieben und stellt sie offen zur Schau. Die Luft wellt sichtbar, das Wasser rollt hörbar, das Feuer regt fühlbar die Kräfte an. Fürwahr: wenn man nur recht frei über alle diese Zeichen hinausschaut, wird einem wunderbar klar: Alles Große ist einfach! Was soll also so Unergründliches darin verborgen sein?
    »Sie aber,« schmetterte Bury unverschämt heraus, »sperren sich nachgerade einfach vom Leben ab! Von diesem Leben! Und sind achtunddreißig!«
    »Hörst du nichts, Fritzel?«
    Böse fuhr Bury auf. »Nichts!«
    »Doch! Ja! Eine Melodie!?«
    »Woher?«
    Jäh, mit fröhlichstem Auge blickte Goethe hinaus über den See. Soviel wäre ja selbstverständlich: in jeder Stadt, in jedem Dorf, jedem Haus liegt die Melodie gefangen, die aus den täglichen Schicksalen seiner Menschen fließt. Warum also sollte Nemi nicht singen? Der Himmel, dieses Zelt voll Spannung, singt gewiß! Die Erde, besonders eine Erde wie diese, die jede Raserei der Reife erlebt hat, soll sie nicht schwingen in nachlebenden Klängen aller Liebesleidenschaft, die sie durchzitterte, bis endlich die Frucht in ihrem Schoße lag? Der See aber, unter der Berührung des Feuers aus dem Himmel und dem

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