Goethe
Und jetzt, anstatt, daß er endlich, . . . Sie!« Mit der Faust schlug er Kaysern auf die Schulter. »Glauben Sie nicht, daß wir mitverantwortlich sind für den Weg, den er hier geht!«
»Ich bin nun einmal ein Musikante,« zuckte Kayser zum zweitenmal ungerührt die Achseln. »Und, offen gestanden, und nehmen Sie mir's nicht übel: selbst der ganze Goethe gilt mir nicht halb soviel wie meine Musik!«
»Aber daß er – Er! – jetzt darüber spintisiert, wie er seine Singspiele dem Cimarosa oder Paisiello ankommodiere, und schon in der Frühe Achteltöne gebiert und von Choral, a capella, Orchestralmusik, Rezitativ und Messe faselt und alte Noten schmökert und sich krampfhaft dazu zwingt, Musik als offenbarend und was weiß Gott noch zu finden . . .?«
»Wer sagt Ihnen das?«
Wie ein Pudel, der aus dem Wasser sprang, schüttelte sich Bury. »Ich kann Ihnen nur sagen: vom Zeichnen und Malen versteht er einen Pfifferling! Von der Musik aber noch weniger! Und wenn nun Sie . . . .«
»Pst! Da oben steht er! Er hört uns!«
Wahrhaftig: da oben stand er; auf festen Füßen im Gras der Kuppe, fröhlich umwogt das Haupt von den Strömen des Golds und der Bläue, und blickte fröhlich herab.
»Beherzigen Sie's!« konnte Bury noch flüstern.
»Ich glaube, nicht!« Kayser noch antworten.
Dann, wie in einem Wettstreit, begannen sie zu klettern.
Aber als sie, bei dem Mann auf der Kuppe angekommen, zu seinen Seiten ausruhten wie seine Apostel, die große Linde ihre Blätter auf sie herabrieselte und aus dem Hintergrunde die Trümmer des Jupitertempels hervorglänzten, zwischen dicken Büscheln noch ganz grüner Schäfte und dem stumpfen Dunkel von Klosterzypressen, und gegen einen Himmel hin, der mit süßen Strichen erblassenden Seideblaus nach Neapel hinabwies, vergaßen sie plötzlich ihre einseitigen Ziele. »Daß sich nun die Musik auch noch anschließt und ein dreifach Leben beginnt, – ist's nicht wunderschön?« hörten sie wie im Traume den Dritten sagen und lächelten beide gleich selig. Denn dem Musikanten schien es nun, als flösse der Strom von Musik, den er als seine Seele in sich trug, hunderttausendfach neu gequellt, frischgewellt, meergeöffnet über die gesenkten Riffe, die starrmäuligen Krater, die sanften Hügel des orangegelben Felsennestes und die Weiße von Frascati in die braune Steppe der Campagna hinab und hinauf an den Schattenriß von Rom, um überall Farbe, Form, Linie, Schönheit, die sich schauen läßt, greifen läßt, zu erzeugen; dem Maler hingegen . . . .
»Was schaust du so, Fritzel?«
Der Maler lehnte sich zärtlich an Goethen. Schaute brüderlich auf Kaysern. Seine Seele war Feuer; vor allem aber feuriges Herz. »Ich suche,« erwiderte er mit undeutlichem Wink, »jenes Haus in Castelgandolfo, worin Sie im Oktober gewohnt haben.« Und wußte, gerade weil der Geliebte daraufhin stumm blieb, auf einmal: Musik tönt, wo gelebt wird. Und hörte, wie der glitzernde Bogen des Meeres weit drüben, die traurige Öde des Landes, wie es sich von Albano und Marino und Frascati, von diesem verklärten Schimmer der Hütten und Villen hinab in den Sumpf, in die Fieberbuckel hinausdehnte bis an den Saum der goldenen Woge, und wie der nordlichterstrahlende Erker des Gebirgs gegen die Monti Sabini und die heilige Helle hinter dem Schattenriß von Rom, – ja, wie alles: Nähe und Ferne, die in irdischer Schönheit sich schauen und greifen ließen, ein einziges Lied sang, – welches?
»Ja: welches?« flüsterte Goethe lächelnd und schaute noch suchender, noch tiefer als beide. Denn was er seit fünfviertel Jahren in dieser noch immer nicht ganz lichten Brust drin erlebt und gelebt hatte: Alles, mit deutlichen Buchstaben, stand geschrieben auf dem Leib dieses Landes. Funkelnd zog die Sonne, die wie eine atmende Kugel langsam niederschwebte auf die Tafel des Meeres, das sterbende Laub, das bleibende Grün, die Felsen und Hänge der Hügel, die Sättel, die Mulden der Fläche und die schweigsame Kuppe, auf welcher er stand, und die Schlösser und Häuser und Kirchen der Lebendigen in ihren lockenden Fluß. Und von Berg zu Berg und von Klippe zu Klippe und Wipfel zu Wipfel und, in der freigebig hinausgebreiteten Küste vom Bug bei Terracina bis zum Hafen der Civitavecchia, lösten sich die Höhen, die Kämme, die Joche, die Flanken aus dem Halt der gebundenen Scholle; von Rom herab, von den glastigen Kuppeln und Firsten und, in der Campagna, von den Riffen der Aquädukte herab die
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