Goethe
Gesichtlein an meine Brust und sagte: weil ich dich gehört habe!«
»Und dieser Seele begegne ich vor drei, oder zwei, oder vier Wochen,« – Sturm, Hölle, Verzweiflung jetzt in der Stimme, die mit einem Schlag jede Herrschaft verloren hatte – »und kann ihr kein Wort mehr sagen! Mein Auge ist tot vor ihr, meine Glieder schlottern blöde vor ihr, mein Herz ist vernichtet, – ich komm gerade von der Dianetta! Und nun sagen Sie mir . . .«
Entsetzt fuhr Goethe zusammen. Flamme von oben bis unten, mit einem Blick ungeheuerster Anklage, stand der Jüngling vor ihm. Das war nicht Bury. Das war kein Menschenbild, das nach dem Meißel, dem Pinsel rief. Kein Stück Natur, dessen Melodie mit einendem Ton hinwies auf die Flüsse der Melodien des Wassers, der Erde, der Luft und des Feuers. Sondern Blick eines Dämons, der in den Blick eines zweiten Dämons tauchte und die Verwandtschaft mit Leben und Tod jeder anderen Schöpfung hochmütig leugnete. »Klipp und klar sagen Sie mir jetzt, offen und ehrlich: wie es möglich ist, daß ein Mensch wie Sie – Sie! – sich mit jener Faustina ergötzt!«
»Nein! Nein! Nein! Nein! Sie kommen mir nicht aus!« fiel nach diesem sausenden ersten Hieb gleich der zweite herab. »Ich will es haargenau und aus Ihrem eigenen Mund erfahren: wird der Geist eines Menschen – seine Person, die Persönlichkeit – wirklich erst dann geboren, wenn er sein Herz zertritt? Und ist es darum richtig, wenn der Mann, der etwas werden will, – da er doch eben auch dabei ein Mann bleibt! – zwar nicht seine Begierde tötet, wohl aber seine Liebe zur Liebe?«
»Ich habe dir niemals gesagt, du sollst nicht lieben!« kam es wie Angstschrei aus Goethens Munde.
»Ich lebe nach Ihrem Beispiel!«
»Ich habe mich niemals zu deinem Meister aufgeworfen!«
»Sie haben Moritzen . . .«
»Ich habe Moritzen sinnlose Sentimentalität verboten!«
»Und ihm damit seine Liebe erstickt! Sie aber« – und wie ein Baum, den ein zweiter Frühling jäh nach dem ersten, ohne daß Sommer, Herbst, Winter dazwischen gingen, in die Höhe treibt, wuchs der Entfachte in die Luft vor ihm auf – »Sie aber haben hier in Rom, nur damit Ihnen die Schleier von den Gemälden und Statuen fallen, von Natur und von Kunst und vom Schweigen und Tönen, und Sie allein eingehen können in die Erkenntnis der Dinge und ins Reich Ihrer Person, jedes Band zerschnitten, das zwischen Ihnen und allen lief, die von Ihnen Liebe begehrten! Leugnen Sie nicht und schauen Sie mich nicht so an! Ich brauche nur einen einzigen Namen zu nennen, – ja, ich nenn ihn, ich nenn ihn: Charlotte . . .«
»Du!«
»Jawohl, ich! Und ich sage Ihnen weiters . . .«
Aber, wie von einer Eisenfaust vor die Stirn geschlagen, verstummte nun Bury; wechselte die Farbe.
Starr, im unheimlichen Schweigen, das die Flöte des Hirten auf dem Felsen nicht mehr zu übertönen vermochte, erhob sich Goethe. Und ohne noch Stunden, die Scheidung zwischen Tag und Nacht zu kennen, rollte das Schweigen weiter, drehte sich, wahnsinnig, die Erde, wuchsen die Bäume in die Himmel, senkten sich die Himmel über die zitternde Erde und kündigte sich mit Posaunen, die aus jedem Gras, jedem Tropfen, jedem Hauch und jedem Strahl klangen, ein furchtbarer Zusammenbruch an. »Du brauchst nicht zu glauben,« stieß der Mund plötzlich mit tobsüchtiger Stimme hervor, »dir nicht einzubilden . . . .«
»Ich bilde mir gar nichts ein!«
» . . . dir nicht einzubilden,« wiederholte der furchtbare Mund, »daß du, weil ich dich liebe . . .«
» Ich liebe Sie!! «
»Meinst du, du zwingst mich, dir's zweimal zu sagen?« Wie Donner, der über stürzenden Bergen niederbricht, dröhnte die Stimme und zerschlug. »Jeder lebt, wie er muß! Wie es sein Gewissen ihm vorschreibt! Keines ist gleich dem anderen! Es gibt keine Gesetze für alle!« Und drei zerstampfende Schritte vom Jungen weg tat er. Nun doch drei. »Laß dein Skizzenbuch nicht liegen!« rief er eisig, als ob ein ausgebildeter Gletscher mit schrillem Krach in die schlankste Pyramide von Eis sich zusammenpreßte, »ich geh in den Palast hinauf.«
»Weil ich ihn liebe!« lächelte im einsamsten Schmerze der Jüngling, »nur weil ich ihn liebe!«
Während der Dunkle schon vor den Satyr trat, der die Flöte blies. »Fort!« befahl er mit der hochmütigsten Gebärde der Hand. »Keiner von diesen Gedanken an mich heran! Dieser Kampf ist und bleibt ausgekämpft!« Und mit dem hochmütigsten Auge beschwor er den
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