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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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Vogel, suchte er mit der Hand, die die Blume hielt, seine Rippen. Und als müßte er in der letzten Stunde noch einmal die Reihe der Gesetze nachprüfen, die ihm das Werden der Erde ebenso einfach aus einem einfachen Zentralprinzip erklärten wie das Werden der Blume und des lebendigen Körpers, tastete er mit spürender Sohle die Körnigkeit des Sandes zwischen Rasen und Schranke. Aber als riefe tollkühn eine siegreiche Stimme aus diesem dreieinigen Begreifen in die vierte Welt hinüber, die heute geboren werden mußte, um die volle Geburt der Welt zu vollenden, fuhr sein Auge nun die fackelstreifüberhuschten Marmorbilder ab und lächelte überlegen verächtlich: ja, auch ihr seid entzaubert! Auch ihr seid nur: ich! Nur dasselbe wie ich! Und wenn nun erst noch der Gott da in meinem Rücken, sobald ich ihm endlich mit vermessener Fackel in sein Antlitz hineinleuchte, verkünden wird: »Ja!« . . .?
    Da, mit einem Ruck, drehte er um, und der Gott, mit glänzendem Schritt, trat aus der Nacht in das Licht. Und im selben Augenblick entglitt ihm die Fackel. Als ob sie der Gott ihm mit rächendem Hieb aus den Fingern schleuderte, fiel sie aus seiner Hand und hinab in den Boden.
    Als er sie, nach ewigem Starrsein, zurückhob, wieder aufrichtete, gegen seinen drohenden Willen in genauer Höhe vor dem Gotte neu aufbrennen ließ, setzte der Schlag seines Herzens aus. Gefror das Blut in den Adern zu Eis. Hockten marmorn die Glieder im Gerüste des Leibes. Und starrte das Auge unter gestorbenen Lidern auf den ragenden Gott.
    »Mitternacht!« fuhr im Bogengang drüben Meyer empor, als es Zwölf schlug von Sankt Peter herüber. Die Fackeln waren so gut wie abgebrannt. Hirth hatte ein Schläfchen gemacht. »Sollen wir nicht? Meinen Sie nicht?« Und trat entschlossen hinaus in den Rasen.
    Hatte aber keine drei Schritte getan, als er sagen hörte: »Es ist aber doch eine Nachtigall! Und keine Amsel!«
    Wie ein Gespenst glotzte er den Mann an, der mit toter Fackel vor ihm stand. In ununterbrochenen Trillern, die auf himmlischen Treppen jauchzend aufstiegen in die lichtesten Höhen der Welt, sang der verborgene Vogel: die Stunde des Lenzes. Wolkenlos dunkelblau, ohne Flor und Trübnis, träufelte der Himmel auf die Gesimse des Hofes nieder mit dem gesammelten Volk seiner Sterne: die Stunde des Lenzes. Und überirdisch hell zwischen den Statuen, die Schritt für Schritt fackelverlassen zurücktraten in die Nacht ihrer Nischen, triumphierte das Auge des Mannes, der mit der bekehrten Fackel vor ihm stand: die Stunde des Lenzes.
    »Nun?« fragte Hirth jäh, geräuschvoll, und tippte dem lächelnden Mann auf die Schulter.
    Aber der Mann lächelte wohl aus einem wachsbleichen Gesichte heraus, aber redete nicht.
    Redete lange noch nicht.
    Erst nach einer Woche vielleicht, zum Jüngling, der ihn oben in der Kammer beim neuerlichen Nachbilden jenes Fußes überraschte, sagte er friedlich: »Siehst du, das freut mich: immer wieder ein Gesetzmäßiges in den Epochen des Lebens zu entdecken. Beim Gotte habe ich angefangen und beim Gotte aufgehört.«
    »Versteh ich nicht,« stieß Bury zornig heraus; zuviel Raten und Deuten über die Nacht mit den Fackeln war die Woche über unter den Freunden gewesen. »Noch viel weniger aber, um Gotteswillen, daß Sie noch immer, noch immer da kneten!«
    »Jetzt verschlägt es ja nichts mehr, ob ich ein bißchen mehr oder weniger pfusche?« war die heiterste Antwort. »Mein Auge hat Licht jetzt!«
    »Aber welches Licht? Welches?«
    Aber nur eine Stunde später, und dasselbe Auge hatte: das Dunkel! Vor der Kirche Santa Maria in Cosmedin. Wußte weder, wie es hieher gekommen war, noch was nun mit ihm geschehen würde. Lächelte jedoch in voller Ruhe, unüberrascht und gefaßt in das Beet krapproter Tulpen hinein, das vor der Kirche mitten im gelben Tiberschwemmsand stand. Teuflisch grinste der Blick der höchsten, die in der Mitte wuchs, ihn an. Öffnete plötzlich, weil sein Auge ganz fest blieb, die Blätter, ließ die Blätter langsam, feuerrot über den giftgrünen Kelchrand hinabsinken.
    »Ah!« lachte er fröhlich auf: »Du wieder da?«
    »Ich wieder da!« antwortete vertraut die dünne Stimme. Und ein langer Mann – schwarz von oben bis unten – stieg aus dem Feuer der Blume. »Weißt du vielleicht noch, wo wir aufgehört haben?«
    »Ungefähr!« antwortete das Auge, das sich, wie in langentbehrte Heimat, in das gebärende Dunkel gier einfraß. »Aber nur keine Zeit mehr verloren! Fahr fort, wie du

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