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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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Zukunft? Und füllt das unbegreiflich leere Loch? »Nein!« griff er mit verlorenen Händen in das Gras, preßte das Herz, den ganzen Leib an diese heißgeliebte Erde und küßte schluchzend Erde, Gras und wieder, immer wieder Gras und Erde. »Reißt mich nicht los von ihr! Jetzt, weil das Licht kam, weil du's gabst, Geliebte, Rom, – reißt mich nicht los!« Jetzt, da die Ähre stand, die mühsam täglich neu gepflügte Furche Saat verhieß, jetzt hieß es gehen? »Ja, noch, noch bist du da!« Ja, noch war Rom, die römische Erde da! »Geliebte! Auch morgen noch! Ich gehe durchs offene Tor zurück, du wartest lächelnd, breitest mir die Arme, ja! Noch bist du da! Aber . . . .«
    Müde sank er zurück. »Aber nur noch zum Abschiednehmen!« »Lotte!« Wer, was rief jetzt die? Mit irren Fingern fuhr er sich durchs Haar. Damals, wie er von Lotte hatte scheiden müssen: nur drei Tage hatten ihnen gehört, in Kochberg. Viele Jahre her. Drei Tage nur. Und dennoch: Paradies! Was ist für Menschen der Himmel? »Mir war er das Gefühl, bei mir zu sein. Sie war, damals, ich selbst!« Reißt mich nicht los von ihr! hatte er mit aller Inbrunst dieses Himmels gebettelt, im dunklen Flur des Abschiedstors an ihrer Brust. Den Leib, der dies sein höchstes Ich barg, an sich geklammert mit wahnsinnigen Armen, geküßt die Augen, tausendmal geküßt, in denen sein Gesetz stand. Und trotzdem fortgemußt!
    Und dennoch: trotz dem wilden Abschied, – war dann, nach vielen Jahren, nicht erst Rom gekommen? Die Erweckung?
    Er schloß die Augen. Nur das Ohr noch lebte. Aber keine Stimme redete. Die Schnarre von San Paolo fuori tot. Die Ostienserstraße tot. Die Pinien tot. Der Boden tot. Kein Regen. Die Luft erdämmert in ein totes Schweigen. »Ich kann es so gut sehen,« flüsterte er mit kindlich süßem Lächeln, »wie in der Campagna jetzt die Sonne stirbt. Die Stadt erlischt ins Blaue. Sankt Peter wölbt sich seraphisch sanftgrün über den gezähmten Dächern. Wie Fliederwälder wachsen die Sabinerberge. Tivoli streng weiß. Der Monte Velino am nächsten der Nacht. Palästrina mild in Fahlnis zwischen Grün und Blau gebettet. Die Campagna aber hat noch Licht. Die Breiten glänzen. Hütten bauen sich rostbraun und spitz empor. Gelbe Wände schimmern, Bögen von Aquädukten glänzen, die Via Appia zieht mit Gräbern, Gräbern, Gräbern durch das hohe Gras, ein Mann, der noch den Funken Sonne auf der Stirn trägt, . . .«
    Noch tiefer sank er zurück. Und wie verklärt vom Wahn des Abschieds, von der dämonischen Zugkraft schon vollzogener Trennung, lag die Geliebte jetzt in seinen Armen. »Du kennst doch meine Seele?« flüsterte sie mit liebevollster Stimme, doch nicht weinend, damit er nicht noch bitterer leide. »Bist mir vertraut, ach, urvertraut geworden! Was weißt du nicht von mir? Hat dieses Blut nur einen Schlag getan, den du nicht hörtest? Dies Auge einen Blick, den du nicht sahst? Dies Herz nur einmal Sehnsucht aufgezittert, Liebe, Flügelschlag nach oben, und du bliebst lahm?« Und mit der Wonne ihrer Glieder, während ihm die Wonne ihrer Seele, ihrer Glieder im Wahn des Abschieds, in der dämonischen Zugkraft schon vollzogener Trennung wie nie erschöpfbar urgeheime Pracht aufging, gab sie sich seinen tiefsten Armen hin. »Kann das vergehen? Erbleichen?« hauchte sie vergehend. »Kann Geist denn sterben? Wenn du im Norden dann das volle Licht, das ich dir schenkte, ausstrahlst, dich neu erzeugt bekennst, weil alle Zeiten dir zusammenklingen, die Räume nichts mehr scheidet, Zeit und Raum, die Welt und Überwelt, Lebendiges und Totes Wachs in deinen neugeborenen Händen sind, – nennt dann nicht jeder Pulsschlag, den du tust, nur mich? Sieh: ich bin ewig! Du, du wurdest es durch mich! Durch dich jedoch werd' ichs ein zweites Mal!«
    »Worte! Worte!« klagte er in Tränen. »Wenn zwei sich lieben, wollen sie zueinander! Das ist Naturgesetz! Und reißt man sie entzwei, – natürlich bleibt der Geist von diesem Bündnis leben! Das Bündnis selber aber stirbt, wenn es nicht lebt! Was also hilft die seligste Erinnerung gegen Tod? Phantastisch vorgetäuschte Nähe gegen Ferne? Jetzt hör ich deine Stimme noch! Fühl noch den Herzschlag da aus deiner Brust! Kann dich noch fragen, weiß, du kannst noch antworten! Seh noch dein Antlitz, deine Seele drinnen, in deiner Seele jeden kleinsten Schmerz! Im nächsten Augenblick jedoch – ja, nur ein Augenblick ist der wahnsinnige Abschied! – seh, hör ich, fühl ich nichts mehr!

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