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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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nichts! Da, deine Hand, die einzig treue Hand . . .«
    Erschrocken fuhr er auf. Die Stille war erdrückend. Der Abend schien den letzten Fetzen Lebens hinter die Mauern der Stadt getrieben zu haben. Selbst der verborgene Vogel sang jetzt nicht mehr. Die Pinien hoben sich als schwarze Dächer über dem verwobenen Dunkel, das Hügel, Tal und Steine zäh umstrickte. In lichtloser Blässe prahlte der Pyramide stummes Alter. Vom Aventin herüber schwebten, griffen Nebel. Und die Geliebte da in seinen armen Armen, die seine Folter wie sich selber wußte, – »erbarmungslos hinaus in ihr urewiges Geheimnis lächelt sie und läßt mich scheiden! – Nein!« schrie er rasend, in Stößen, die die Brust zerrissen, bebte das gehetzte Wort. »Reiß mich nicht fort von dir! Laß mich bei dir!« Verzweiflung aller Glieder. Rausch und Taumel. Wo noch Maß und Haltung? »Heut morgens erst das Licht geschöpft, und jetzt, am Abend drauf schon, soll ich gehn? Bei dir da ward ich ich! Da blüht' ich auf! Da kenne ich mich! Da kennt mich Gott! Da glänzt mir jeder Strahl! Erfüllt sich mir das Leben! Soll ich nicht leben? Einen Tag nur leben? Du!« Und wie das Kind, das höhnisch rohe Hände von der Mutter reißen, in ihren Schoß sich rettend: »Sei barmherzig, Du! Gib mich nicht her! Ich kann es nicht ertragen! Kann nicht!«
    »Und – deine Pflicht? Das Vaterland?«
    Wer hatte dieses Wort gesagt?
    In raschem Kampf entspannten sich die Hände. Löste der Leib sich von dem heißgeliebten Leibe. Hob sich das tränenübergossene Haupt. Umfuhr der Blick das Grabmal, die Pinien, die Mauern, die Rachen der Caracallathermen, die über den Mauern glotzten; den Aventin. »Vaterland?« Er sah kein Vaterland. Straff wurde plötzlich seine Gestalt. Steifes kam in die Haltung. Die Tränen schüttelte die Miene ab. Und wurde kalt. »Hm?« machte er ein paarmal. Erhob sich. Stand fest. »Hm?« Und die Erde im Umkreis verlor das Römische. Der Himmel über ihm, so diamanthell er die steigenden Nebel überwuchs, das Italische. Was rundum mit unverkennbaren Malen von Rom redete, nur Rom sein konnte, – in Irrlinien, Zerrfarben, Unformen fiel es auseinander, die nie zum Bilde Roms geholfen hatten. Während er als einzige Wesenheit, die nun noch lebte, sich rasch ins ungeheuer Leergewordene stellte und umso zauberhafter zunahm drin an Maß und Kraft, je hoffnungsloser Erde, Himmel, Stadt im Nichts erloschen.
    »Was ist?« rief er gemach herab. »Auch Tränen?«
    Mit ungeheurem Grauen erhob sich zu ihm die Geliebte auf. Wie? Hatte er ihr schon gehorcht? Das Übermaß der Liebessehnsucht schon zertreten? Für Pflicht und Vaterland? »Du, sei barmherzig! Du!« Mit angstvoll großen Augen sah sie ihn an, darin die ungemessene Huld erglänzte, die sie noch schenken könnte. »Du!« Und mit der scheusten Hand, die hilflos gegen ihre Furcht rang, bat sie um die seine. »Du!«
    Allein das Auge, das sie sah, blieb kühl. Die Hand, die sie berührte, starr. Mit Riesenkraft verschloß der Mann das Herz, daraus das Blut in schwarzen Tropfen quoll, vor der Geliebten.
    »Du!«
    Er wuchs noch höher.
    »Du!« stammelte sie in Todesangst, mit aller Süßigkeit, die ihren Stolz zerschmolz, an ihn gehängt, »was ist das? Sag! Was blickst du so? Was sinnst du?«
    Er tat nichts anderes dagegen, als daß er den Arm ausstreckte gegen die Senkung des Aventins. Und sogleich, wie von ihm selbst zurückgestoßen in ihr ewiges Geheimnis, wich die Geliebte schon zurück. Leicht atmete er auf. Griff nach der dunkelroten Skabiose im Gras, die die Verzweiflung seiner Küsse getrunken hatte. Aber nun war sie: Skabiose, wie in Deutschland, wie überall. Scabiosa officinalis. Dies also, lachte er, ist das Leben des Dichters? Die Rosengärten in seinem Herzen niederbrennen, die jungen Wipfel der Stunde des Lenzes kappen und aus dem Mord an ihnen die sanfte Flamme der Ewigkeit aufrufen? »So zeig dich, Ewigkeit! – O! Nicht die meine mein' ich!« setzte er, rot von Scham, hinzu. »Nur die verdammte Pflicht, das Leben zu ersticken, das man am liebsten lebte, damit es aufzufliegen mächtig werde – zu Dir! Ja, zeig dich, Ewigkeit!«
    Und sie war da.
    Wallend, ohne festes Gleichmaß, Sturmschnelle und bleischwer schleppender Gang zugleich, rauschte die Herde der Jahrhunderte einher. Von der Veglia am Fuß des Kapitols kamen sie und strebten nach der tragenden Woge des Meeres und den osthin, westhin, nordhin offenen Tälern. Und trugen in den ungewissen Mänteln, obwohl sie nur von

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