Goethe
umso unentwegter fromm, je mädchenhaft unschuldiger Frau von Stein lachte. Was? schien Frau von Stein zu lachen, geradezu hübsch war sie jetzt, was? Ihr habt euch eingebildet, mich fangen zu können, wenn ihr nur gleich recht plump über ihn herfielet heute? Und nun habe ich euch die Suppe versalzen! Gesindel! »Ich besaß einmal einen Fächer aus Goldfiligran,« lachte sie tückisch wie eine kokette Diebin, die den Fächer gestohlen und dann um eine Million verkauft hat. »Aus Petersburg war er. Irgend ein Zar soll ihn seiner mecklenburgischen Geliebten geschenkt . . .«
Da erhob sich Knebel. Ihm tanzte es schwarz vor den Augen. Er reimte sich nichts mehr. »Weißt du mir am Ende, Klinckowström,« fragte er jämmerlich und tippte den Hofmarschall auf den sattdasitzenden Schenkel, »weißt du mir eine nette Wohnung am Lande? In dem Nest da bleiben will ich nicht, und Jena ist genau so stinkfade. Und das Gartenhaus ist ab heute perdu! «
» . . . . . irgend ein Zar,« wiederholte Frau von Stein noch höher aufwachsend, als habe weder sie, noch Klinckowström, noch einer der anderen auch nur ein Wort von Knebeln erfangen, »seiner mecklenburgischen Geliebten geschenkt haben. Josias erwarb ihn auf einer Reise, weiß nicht mehr, wie und wo. Drei Jahre lang hatte ich ihn, alle Leute bestaunten ihn; so oft ich ihn aus dem Schrank holte, schaute ich ihn glücklich an. Und eines Abends, es war Ball bei Hofe, es ist schon Mitternacht vorbei, ruft mich die Herzogin, ich lasse meinen Tänzer gehorsam stehen und folge, . . .«
» . . . und folge . . .?«
»Nein,« kicherte sie lüstern, mit beiden Händen plötzlich abwehrend, »das weitere kann ich nur Thusneldchen erzählen!« Und indem sie sich schon zum Ohr der Buckligen, die gierig herantrippelte, hinüberbeugte, fuhr sie mit unbändigem Gelächter, so, daß es gehört werden mußte, fort: »die Herzogin hatte zuviel Eis gegessen und ich mußte sie begleiten. Und da dürfte ich irgend eine dumme Bewegung gemacht haben . . . . .«
Jauchzendes Gelächter.
»Und? Hat man ihn nie mehr gefunden?« brüllte Klinckowström überglücklich.
Und noch tolleres Lachen.
»Und jetzt?« Atemlos horchte sie auf. Niemand mehr da? Alle fort?
». . . bin ich allein?«
Wie? Heiß sprang sie empor, an die Tür. Versperrte die Tür. War, was diese Puppen da plapperten, nicht ebenso erbärmlich, wie das, was sie dachte? Hatte nur einer von ihnen die Ruhe in sich, die ihm überlegene Gerechtigkeit den anderen gegenüber erlaubte? Bestimmung in seinem Inneren? Unverrückbares Ziel seiner Stunden? Sie sah Fritzen mit dem Hofmeister in die Gasse treten. War sie etwa eine Mutter? Josias hatte beim Aufstehen am Morgen vergeblich um neue Manschetten gebeten. War sie eine Gattin? Und was hatte sie heute noch zu tun? Nichts! Und morgen? Auch nichts!
Und übermorgen?
Schauder erfaßte sie. Als er sie noch liebte! »Als du mich noch liebtest!« Und jetzt nützte keine Gewalt mehr! Zusammen stürzte das Kartenhaus der stundenlang tyrannisch geübten Beherrschung. Wie Frost des unbarmherzigsten Herbststurms kam das Zittern. Wie ein Strom, der nicht mehr frägt, wo er einreißt, das Weinen. Als er mich noch liebte! Wie da seine bloße Existenz das Land erweitet, den fahlsten Tag zur Sonne erkräftet, die Stimme des gewöhnlichsten Menschen bedeutend gemacht und die einfachsten Güter zu Wundergaben erhöht hatte! Fürchtete man sich etwa abends vor der Nacht? Sie war süßes Sichhingeben an die Erinnerungen des Tages. Vor dem nächsten Morgen? Er sagte es nur wieder neu, wieder anders: du bist die Gefährtin eines Geistes, der die graueste Erde zum Himmel umschafft! Solch ein Mann, wenn er liebt, aber –? Ja, darin stak der Kern des furchtbaren Geheimnisses! So ein Mann vermochte zweierlei: die Frau, die er liebte, zum Menschen zu machen, – und dabei trotzdem der Herr seines Menschen zu bleiben. Sein Geschöpf wird die Frau. Er aber, wenn er ihre Hand ausläßt, – geht zur Betrachtung der Welt zurück; zu seinem Gedichte; zum Lauschen in seine Erlebnisse, die sich, wie aus einander, stündlich neu gebären. Sie hingegen? Wohin geht sie? Er ist die Säule, die das Dach ihres Lebens trägt. An diese Säule gelehnt, bleibt sie wartend stehen, tagelang, wochenlang, monatelang. Denn sie kann keinen anderen Platz mehr finden, wo sie sonst noch zu stehen, keinen anderen Weltkreis entdecken, worin sie sonst noch zu atmen vermöchte. Verfallen ist sie dem Mann, der ihr
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