Goethe
hin, mache, was du willst, aus mir, – nur: rede so weiter! wollte sie im Schauer der Seligkeit sagen. Schöner Frühlingssturm flog durch das entfesselte Gemüt. Wie schwächliche Irrungen starben die Monate des Wartens unter seinem bloßen Blicke dahin, nur weil er wahrhaftig und körperlich da saß. Mit ganz jungen Füßen stand die Gegenwart im Raum, und was dieser Raum von ihnen beiden gesehen und gehört hatte, knüpfte sich am ungetrübten Strahl seines Auges ohne Hindernis an eine noch reichere Zukunft. Und dennoch – was bohrte so unnachsichtig in ihr drin: übergib dich nicht? Umflorte die Wollust ihres Augs, ihres Ohrs mit dem satanischen Gift des unersättlichen Mißtrauens und preßte ihr die Lippen zusammen, daß sie nicht so reden konnte, wie sie reden wollte, und befahl unerbittlich: erst muß er zerknirscht mir zu Füßen liegen und seine Schuld bekennen, bevor ich . . . . . ? »Du hast also nicht das Empfinden,« stieß sie in der fieberhaften Spannung, ob er dem Zwang, den der Teufel ihr auflegte, sich beugen würde, hervor, »daß du – sagen wir: häßlich an mir gehandelt hast?«
Überrascht fuhr er auf. Werden Frauen, wenn man sie allein läßt, dumm? »Wenn man von einer Schuld reden kann,« antwortete er, noch immer gleichmütig, »so habe ich das Gefühl, sie in Rom gebüßt zu haben. Damals, als deine ersten Briefe mich aus allen Himmeln rissen. Übrigens auch, dir diese Schuld demütigst abgebittet zu haben. Seither . . .«
»Hast du sie niemals mehr gefühlt?«
»Nein!« Er nahm die Lehne seines Sessels kräftig in die Hand. »Meine regelmäßigen Briefe, die dir mein ganzes italisches Erlebnis schilderten, . . .«
»Dein ganzes?«
»Jedenfalls alles Wesentliche!«
»Und das Unwesentliche?«
Nur noch schärfer sah er sie an. »Ich glaube, daß, wenn man einander eilf Jahre lang so gut wie jeden Gedanken anvertraut hat, man auch reif genug dazu geworden ist, einander auch das Unwesentliche aus der Zeit der ersten Trennung anzuvertrauen. Ich wenigstens fühle kein Bedürfnis, Geheimnisse zu machen. Wir sind nun ja wieder beisammen!«
»Wie stellst du dir das vor?«
»Was?«
»Dieses Beisammensein?«
»Ja – kannst du dir vorstellen, daß wir nicht beisammen sein müßten?«
Wie der Schein einer noch verborgenen Sonne, die aber gewiß, alles leicht übersiegend, bald aufgehen wird, traf sie das Wort. Aber nur umso entschlossener, jetzt mit der einzigen Karte zu spielen, die ihr die Raserei ihres Stolzes noch aufzwang, verhüllte sie das Gesicht mit dem gefährlichen Nachschein einer Sonne, die niemals wieder aufgehen wird. » Du konntest es dir doch vorstellen! Du verließest mich ja!«
»Lotte!« Getroffen von all den unsterblichen Einflüsterungen, die ihre Gestalt, ihr Auge, ihre Stimme, die vertraute Landschaft dieser Stube ihm zuschickten, neigte er sich zu ihr hinüber. » Müssen wir davon wirklich noch einmal reden, Lotte?«
»Sehe ich nicht, daß dir bange ist davor?«
»Nein!« Aufrichtig beteuerte er. »Ich meine nur: ist es nicht abgetan? Lange schon?«
»Wenn die Frage noch einmal an dich heranträte: mit Abschied oder ohne Abschied von mir gehen? – Du gingest wieder ohne Abschied?«
»Gewiß nicht! Nachdem ich gesehen habe, wie ich dich damit kränkte, gewiß nicht mehr! Aber so, wie es damals stand, . . .«
»Wie stand es denn damals?«
Und im Nu, als ob er es im Augenblick wieder so erlebte, wie damals, umtrübte sein Auge sich. Überfiel die lähmendste Unsicherheit seine Gestalt. Stockte ihm das Bewußtsein vom Leben in Seele und Gliedern. »Ich mußte fort! Es war nicht mehr aufzuschieben! Und niemand sollte mich davon noch zurückhalten! Ich fürchtete . . .«
»Zugrundezugehen?«
Weit und furchtlos öffnete sich sein Auge. »Ich wäre totsicher zugrundegegangen!«
»Verdurstet?«
»Vertrocknet! Ich hätte mich niemals gefunden ohne die Flucht!« Bange, allen Gleichmutes auf einmal ganz ledig und nichts anderes mehr erschauend als das grauenhafte Gesicht der Gefahr, die nun freilich überwunden war, sprang er vom Sessel. »Ich kannte nur eine Welt! Hatte nur ein Bild vom Menschen! War stumpf geworden in einer einzigen, täglich drückender gleichartigen Arbeit. Sah mir nirgends den Gegensatz meines Wesens vorgehalten werden. Suchte vergeblich die ergänzende Hemisphäre. Und hörte doch Kräfte in mir brausen, Geister mich rufen, Fähigkeiten in mir flüstern, und fand den Stab nicht, um diese wartenden Wasser aus dem Felsen
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