Goethe
zu schlagen. War also verdammt dazu, mich unter Umständen begraben zu lassen, ohne geworden zu sein, was ich, vielleicht, hätte werden können! Mit einem Wort . . .«
»Mit einem Wort: du hast mich schon damals nicht mehr geliebt!«
»Hierauf – erwidere ich nicht.«
Sie erhob sich. Schritt wie blind, von zielloser Hand geleitet, durch die Stube, die sich mit dem Grau der Dämmerung grinsend anfüllte. Ließ sich, zurückgekehrt, Opfer peitschender Hetzstürme, wieder nieder. »Dann antwortest du mir vielleicht auf eine andere Frage? Klipp und klar? Jetzt liebst du mich nicht mehr?«
»Lucchesini« – schonungslos, gerade als er schon den Mund auftat, um zu reden, stieß sie ihm die Worte mitten ins Auge hinein – »soll in Berlin erzählt haben, du hättest dich ausgiebig – sagen wir: amusiert?«
Blitzschnell machte er sich steif. Bolzengerade. Und undurchdringliches Dunkel überzog sein Gesicht. »Seit wann frägt Lotte den Klatsch, um über Goethe etwas zu hören?«
»Du wirst doch nicht behaupten wollen, daß du wie ein Mönch gelebt hast, unten?«
Er ließ die Lehne des Sessels aus der Faust fahren, daß der Sessel wankte. »Ich fühle mich zwar nicht im mindesten verpflichtet, auf diese Frage zu antworten,
»Ich habe dir alles gegeben, was ich dir geben durfte!«
»Aber ich beantworte sie trotzdem!« Wachsgelb stach sein Gesicht, hoch überm Sofaholz, in die finstere Wand hinein. »Und sage: nein!«
Als ob sie plötzlich Glas wäre, aus dem dünnsten Glas gebaut und in Glas gekleidet, klirrte sie, wie sie sich erhob. Mit dem vollkommen blutlosen Antlitz, den farblos mageren Armen bewegte sie sich tappend durchs Zwielicht an das Fenster hin. In der Brust drin, nach oben, nach unten, nach allen Seiten züngelten giftrote Flammen, so, daß Fleisch und Blut wie gefoltert aufkreischten. Aus den Wänden und Dingen des Raumes feuerheiße Schlangen mit spitzen Köpfen nach diesem brennenden Blut, diesem zuckenden Fleisch hin. Taumelnd erreichte sie das Fenster. Ergriff mit der Rechten den Flügel; stieß ihn auf. Stieß ihn zu. »Gut, daß du den Mut hast, aufrichtig zu sein!« Ah! Und da hatte sie sich noch einen ganzen nichtswürdigen Tag lang verzeihend, nachsichtig und demütig gemacht! Ihren richtig witternden Stolz gesteinigt, im geheimsten Inneren drin noch gehofft, nur ein Wahn sei es gewesen, der sie seit Jahr und Tag mit den grausamsten Visionen peinigte! Ja, vor Minuten noch sich eine va banque -Spielerin genannt, die mit besessenem Riskiermut den Tod herausfordere! »Wie gesagt: gut, daß du ihn endlich findest! Es erleichtert den Abschied! Adieu!«
Wie von einem tollwütigen Hund angefallen, stürzte er auf. »Ich bin der letzte, der sich das zweimal sagen läßt!«
»Ich sage es zum zweitenmal: Adieu!«
»Ich kann Steine klopfen, einen Mord begehen, mich aufhängen, Alles, was du willst! Aber eines nicht: gegen dieses Wort auch nur ein einziges aussprechen!«
»Ich sage es zum drittenmal: Adieu!«
»Ahnst du nicht,« – und mit eisernen Händen fing, preßte er ihre gläsernen, – »wie du frevelst?«
»Das auch noch?« Wirr und schrill lachte sie auf. »An deinem Herzen?«
»Laß mich mit dem Herzen aus!« Außer sich riß er die klirrende Gestalt an seine wild aufgewachsene. »An deinem und an meinem Leben! Und das ist mehr, als das Herz, kommt mir vor! An der Vergangenheit von elf unsterblichen Jahren, . . .«
» . . . die in Rom in einem Bordell gestorben sind! – Laß mich!« schrie sie; stieß ihn wie den Feind aller Feinde von sich. Aber seine Hände, sogleich, während seine Zähne niegesehen nackt aufblitzten, griffen noch sicherer nach ihr. Hinter seiner Stirne, wie er die Hassende noch unbarmherziger an sich heranzwang, kreisten die Gesichte eines furchtbaren Todes. Gebar sich von Sekunde zu Sekunde höhnischer überwältigend die Ahnung des grauenhaften Irrtums, der ihn elf nutzlose Jahre gekostet und Rom mit vergeblichen Krämpfen zerquält hatte. Und, wenn er sich wirklich erwahrte, den gerade erst geborenen und heimgekehrten Menschen mit einem einzigen Schnitt in zwei Hälften auseinanderriß: Körper und Seele! »Wenn dir's meine Briefen nicht sagten, daß ich, selbst wo ich weit weg von jedem Menschen sein wollte, der mich abhängig zu machen begehrte, nicht einen Augenblick lang unseren gemeinsamen Besitz an Erleben und Erfahrung im Stiche ließ! Mich nur, weil ich die volle innere Sicherheit empfand, mich dir zurückzubringen, todesverachtend in alle
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