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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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wollte. »Was man über römischen Himmel zu hören bekommt,« fuhr er rettungslos gebannt in den Zwang des Bildes fort, »ist Unsinn! Natürlich leuchtet er. Ganze, große, unübersichtliche Länder macht er mit einem einzigen Niederblick klar und einfach. Von Jahrtausenden her trägt er noch Schälle, Düfte und Licht in sich. Was ihn aber dazu befähigt, jede Landschaft zu idealisieren, aus der bestimmten Stunde, in der man sie anschaut, in die Atmosphäre einer Zeitlosigkeit zu versetzen, deren Gefühltwerden wie allerhöchste Schönheit wirkt, . . .«
    »Und der Hund?«
    Mit einem lauten Ruck fuhren die Köpfe der Hörer und Schauer aus dem magischen Zirkel und richteten sich auf Frau von Stein.
    »Der Hund?« Ein diabolisches Lächeln stieg auf Goethes Lippen hernieder. »Der Hund,« grub er Wort für Wort, bei zierlichster Verbeugung, in Frau von Steins wachsbleiches Gesicht, »war kein treuer Hund! Ich habe ihn ein paar Tage später in der osteria del diavolo angetroffen. Es ging ihm ausgezeichnet. Jawohl! schien mir sein geradezu listig gewordenes Auge zu sagen, die Welt ist nicht nur bei Herrn Jenkins, mein Freund! Ich fühle mich wohl hier . . . . .«
    »Kannibalisch! Wie fünfhundert . . . ..«
    »Prost, Thusneldchen!« rief begeistert Karl August und trank der Vermessenen zu.
    » . . . und hoffe mit Grund,« vollendete Goethe, »hier begraben zu werden. Was befehlen Euere Durchlaucht?«
    »Später!« lächelte Amalia bedeutungsvoll zurück und winkte Louisen. Die Tafel war aufgehoben.
    Allein, tiefgesenkten Gesichtes, schritt Goethe nach Hause. Nun, ja, nun glomm er wieder auf den Lippen, der brennende Kuß! Ungelebt, unwahr rollte die letzte Stunde zurück ins Vergangene. Wie ein Vampyr lag, als er ins Tor trat, die kommende Nacht überm Dache. Im Flur dumpfes Dunkel. Irgendwo in der Ferne des Korridors der scheu zurückschlürfende Schritt der Diener. Die Treppe wie Aufstieg ins Gefängnis. Kälte in jedem Fenster. Enge in der Stube. Diese niedrige Decke! Dieser Handwerksburschenofen! Luftsehnend riß er das Fenster auf. Nur die unsäglich stille Nacht glotzte herein. Ist da wirklich ringsum nicht ein Mensch, zu dem hin man jetzt fliehen, dem man entgegenfliegen, die Hände, ohne sich der Glut zu schämen, drücken und ins lebendige Gesicht hinein sagen kann: »Du begreifst, nicht wahr, ich habe meine zweite Geburt erlebt? Bin zum Überfließen voll davon, meine Adern wollen bersten von der Fülle des Bluts, mein Herz springt, weil es sich ausgedehnt hat für alles Herrliche und Bittere aller Welt! Du verstehst also, daß ich schenken will, hingeuden, dir vor die Füße werfen muß diesen ungeheuren Besitz?« Denn wenn diese reißende Flut nicht ausgeschüttet wird, nicht Freunde habgierig und süchtig greifen nach den Schätzen, der Wiedergeborene sich nicht erkennen darf in den Mienen der noch nicht Wiedergeborenen, an ihrer Armut nicht seinen Reichtum abmessen und an ihrer Sehnsucht seine Erfüllung, – was, was ist dann die Erweckung?
    »Was?«
    Vor dem Tisch ließ er sich nieder. In die Hände vergrub er das Gesicht. Kein Hauch kam von der Nacht herein. Keine Stimme. Nicht ein Funke fremder Menschensehnsucht nach ihm. Sie schliefen. Alle schliefen. Wer aber nicht schlief, höhnte ihn. Neidete ihm. Setzte ihn herab. Haßte ihn. Urteil riefen Lippen, Fluch sogar Seelen! Und wenn die Tage so weiterschreiten, – »auslachen wird man mich zuletzt, das wird das Ende sein und der ganze Gewinn!« Laut sprang er auf. Sperrte die Tür ab. Oder hält das ein Mensch, dem Millionen ewiger Vorstellungen hinter der Stirn sitzen, dem die Welt wie eine Vertraute ins Auge schaut, die gesamte Vergangenheit der Menschheit trägt er gesammelt wie sein eigen Herz in der Brust, mit blutwarmen Händen wühlt er in der Gewißheit der Gegenwart, alle Breiten und Höhen der Zukunft dehnen sich offen vor seinen Füßen aus, – hält ein solcher Mensch es beliebig lang aus, in seiner wahrsten Wesenheit mißverstanden zu werden wie ein »untreuer Hund«, bei Hofe die Verzweiflung der Langweile in Lüge und Dummheit zu wandeln, und nach jedem hinabgewürgten Tag vor einer solchen Nacht wieder zu sitzen, über deren geistlos stierer Starrstille der neue hinabzuwürgende Morgen schon aufgähnt?
    »Nein! Nein! Nein!« Die Hände an den Schläfen, lief er im Käfig ohne Sinn auf und nieder. Es war tiefe, tief finstere Nacht. »Wenn es schon wahr ist, daß ein Mensch die Erweckung an sich erfährt, um endlich ganz

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