Goethe
Senator oder zum Staatssekretär, immer sah man den Hund bei ihm. Ohne diesen Hund mitzuhaben, kaufte oder verkaufte er nicht den schäbigsten Tonkrug. Wie wir nun im Herbst zusammen in Castelgandolfo waren, . . .«
»So lassen Sie doch den Hund fahren und beschreiben Sie uns Castelgandolfo!« unterbrach Amalia leidenschaftlich.
» . . . stahl sich das Tier,« lachte Goethe ungerührt, »eines Abends fort. Und war nirgends mehr zu finden. Das war noch nie vorgekommen. Jenkins über die Maßen aufgeregt. Ließ überall suchen. Umsonst! Der Hund war und blieb eben weg. Als er am fünften Tage, ganz langsam, schleppend, zurückkam, – man muß ihn gesehen haben, wie er zweifelnd die Stufen heraufschlich – machte ihm Jenkins ein Mordsdonnerwetter. Prügelte ihn, daß die Haselgerte dreimal brach. Das Tier schien zu sagen: ich habe doch gar nichts anderes getan, als ein bißchen herumspekuliert in der Welt da draußen! Aber Jenkins schlug zu, immer zu, bis der Hund wie eine Teppichrolle . . .«
» Fi donc! « machte die Gräfin Reuß.
» . . . . unter dem Tische lag. Nach etwa einer Stunde aber steht der Hund plötzlich auf, beutelt sich, schaut Jenkins, uns, die Wände, die Möbel sehr eindringlich an, – und schleicht wieder weg. Und nun begann das Wetten. Kommt er wieder, oder kommt er nicht wieder? Ist er ein treuer Hund oder kein treuer Hund? Ist er überhaupt ein Hund? Ich habe ihn noch deutlich vor Augen: wie er, immer wieder wägend, zurückschielend, in die Straße hinaus pfotet, auf dem Platz, in den sie mündet, Halt macht, rundum überlegt, nun in die Gasse einbiegt, die zur osteria del diavolo hinabführt, die knapp überm See steht, erst Tritt vor Tritt die Häuser entlang kriecht, dann auf einmal sich zusammenreißt und schnurstracks auf die osteria zusaust. Diese osteria muß man nun allerdings kennen, um die unheimliche Anziehung zu begreifen, die sie auf den Hund übte.« Und mit plötzlich völlig verwandeltem Auge, das Haupt hoch emporgerissen, blitzte er über die glitzernde Tafel. In großem Bogen fuhr die Hand die Luft vor seinem Gesichte ab. »Der See ist mittags ganz blau. Gandolfo erhebt sich auf hohem Felsen über ihm. Eng aneinandergepreßt stehen das Schloß, die Häuser, die Villen, der Dom auf dieser Riffküste. Weit hinaus in das Wasser läuft ihr vielformiger dunkler Spiegel. Von links über der Stadt herab schaut Rocca in den See; zerissener Kletterbau tollkühn übereinander getürmter Hütten. Von rechts her umarmen ihn die Wälder, die von Marino, Albano, Genzano und Nemi herauf ziehen und mit dichtem Laub seine Ufer überhängen. Sitzt man aber an einem der Marmortischchen vor der osteria del diavolo, hart über der immer strahlgeschmückten Welle des Sees, . . .«
Alle, weil er, wie um mit flüsternden Fingern über das Haupt der Geliebten an seiner Brust hinzustreicheln, für einen Augenblick aussetzte, richteten die Köpfe gespannt auf ihn. Eine Maus hätte man laufen gehört, so still ward die Tafel.
» . . . dann erhebt sich, genau einem gegenüber, der Monte Cavo. In lichten Bogen schwingt er sich hinter Rocca mit Eichen und Kastanien zum hellgrünen Sattel hinauf, der die große Linde trägt, und von der Kuppe südlich hinab nach den Weinbergen von Nemi, die in seine letzten Halden hinaufkriechen. Nachmittags oder abends, wenn Gandolfo, vor der Sonne, schwerblau aus dem schwerschattigen Ufer aufragt, die geballten gelben Wolken über die Kuppeln fliegen und es vom Tibertal herüber donnert, steht der Cavo in schwefligem Scheine. Alles Dunkle ist dann zu beiden Seiten der osteria, die ihre Oleander in hohen Stauden über das Wasser hinaus biegt, an dem See. Und alles Lichte jenseits. Der Ginster rieselt wie Gold die Hänge herab. Das Felsige des Bodens, wo es durchschimmert, lichterloh rot. Um die Bäume und Büsche schwebt wie eine durchsichtige Hülle, die lebendig ist, der Glast eines geradezu rasenden Grüns. Die Kronenbögen oben auf der Kuppe heben sich vom Himmel wie Tageslicht vom Mondlicht ab. Dieser Himmel aber . . . . . . .«
Als ob unter der Haut seines Gesichtes loderndes Feuer flutete, hinter dem Dunkel seiner Augen unheimlich wachsende Helle brennte und seine Gestalt plötzlich von jeder Beziehung zu ihrer Umgebung frei würde, stellte er den rechten Ellbogen in den Damast der Tafel und machte aus den Fingern der erhobenen Hand eine dreizackige Zange, die den Berg aus dem See heben und noch höher hinein in den Himmel recken
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