Goethe
»Bleibe!« sagte er ruhig und drückte den nach Atem Ringenden in den Fauteuil zurück.
Lange saßen sie schweigend.
Es ist etwas in diesem Gesichte, schien Goethes angestrengtes Auge sich auf einmal anzuvertrauen, was mir contre coeur geht. Sein Applomb? Seine zur Schau getragene Unzufriedenheit mit der Welt?
Es ist etwas in diesem Gesichte, bestätigte Herders zwinkerndes Auge, was ich nicht leiden kann! Sein Hochmut? Seine unverhohlene Verachtung aller Zeitgenossen?
Der Zwischenraum hier zwischen uns, dachte Goethe tollkühn lächelnd, als ob er diese Gefahr gar heraufbeschwören wollte, könnte sich binnen wenigen Sekunden zur unüberbrückbaren Kluft auswachsen, wenn ich nicht rechtzeitig ein begütigendes Wort fände!
Aber ehe er es fand, räusperte sich Herder begütigend. »Sieh! Wenn du auf diese Weise fortfährst, zu brüskieren . . . .«
»Man brüskiert mich!«
»Wenn du auf diese Weise fortfährst, zu brüskieren,« wiederholte Herder fast priesterlich sanft, »dann, siehe, könnte es – und es wäre das schrecklichste Unglück für uns und dich! – geschehen, daß du ein einsames Alter leiden müßtest. Denn sowohl du, scheint mir, bist schon zu alt, als auch wir sind schon zu alt, als daß du es darauf ankommen lassen dürftest, Abstände zu schaffen, die sich, unter Umständen, ohne daß man es merkte, binnen wenigen Wochen zu unüberbrückbaren Klüften auswachsen könnten! Deine Art neulich bei Hofe . . . . .«
»Man verliert sich einmal aus der Hand!«
»Deine Weise Knebeln gegenüber . . .«
»Mein Lieber!« Hart rückte Goethe seinen Sessel. »Ich will gewiß nicht sagen, daß ich mir nicht ein gutgemeintes Wort von euch gefallen lasse. Was ich aber sagen will, ist: Lehrmeister habe ich niemals einen gebraucht, und brauche auch heute keinen! Ich kehre vor Niemandes Tür . . . .«
»Aber« – und noch einmal sollte es gütig klingen – »du gehst wie der König von Rom einher, seit du zurück bist!«
»Euer Auge, das mich so sieht!«
»So!« Und aus war es mit Herders Beherrschung. »Dann,« stieß er keuchend hervor, »mußt du gnädig verzeihen, daß dir endlich einer die Wahrheit sagt! Es ist ganz schön, anderthalb Jahre lang in der Welt gewesen zu sein und liebevolle Briefe, . . .«
» Allzu liebevolle!«
» . . . inbrünstige Episteln geschrieben zu haben, uns! « Wie ein Schiff auf dem hohen Meer schwankte Herder auf seinem Sessel. »Und dann, wenn man uns wiedersieht, hochmütig die Achseln zu zucken, als wären wir Hyperboräer, die keine Europa noch angepißt hat! Da warten wir über Jahr und Tag auf dich, in einer samtenen Liebe und Geduld, die so mancher den Ausfluß übermäßiger Protektion genannt hat, . . .«
»Wer?«
» . . und du kommst, und bist ein Altar von Arroganz! Ja, um des Himmels willen, war noch kein Deutscher vor dir in Italien? Bist du der einzige Deutsche, der es fassen konnte? Oder glaubst du, ganz Deutschland warte darauf, um deine ultramontane Mißstimmung mit ergebenstem Weihrauch zu versöhnen? Nein! Darin irrst du, mein Freund! Und das, scheint mir, mußte einer dir sagen!«
»Nein!« Knapp stand Goethe auf. »Das mußte mir keiner sagen! Und du am wenigsten! Und jetzt reden wir über deine Aufträge. Was hast du auszurichten?«
Nach Luft schnappte Herder. Erschrocken rollten die Augen. War der Angriff zu kühn gewesen? Die Kehle, die in Überfalten aus dem Kragen stieg, würgte Bissen hinab. Die Hände lagen platt und rot auf den Knien. »Der Herzog läßt dich bitten,« brachte er endlich hervor, er wußte nicht, zog er damit den Rückzug an oder machte er die Kluft noch tiefer, »den Entwurf für die Akademie, den ich ausgearbeitet und mit Edelsheim erörtert habe, en petit comitée: du, er, ich, zu prüfen.«
»Ich stehe zur Verfügung.«
»Es gehört ja wohl in dein jetziges Ressort?«
»Ganz richtig.«
»Tritt also dieses Komitee,« äffte Herder Goethes Befehl an den Husaren nach, »heute abend pünktlich um acht Uhr zusammen? Oder?«
»Abends pünktlich um acht will der Herzog meine Meinung in einer anderen Sache erfahren!«
»So?«
Und wieder und noch hartnäckiger schwiegen sie. Was? Diese große dunkle Stube war ihnen doch vertraut? Hier roch doch rundum nichts Unbekanntes? Konnte überhaupt etwas wirklich Trennendes zwischen sie treten? Wußte nicht jeder des anderen Lebens- und Ideengang übergenau? Aber gerade als jeder, zur gleichen Sekunde, diesen Gedanken dachte, fühlte sich jeder vom
Weitere Kostenlose Bücher