Goethe
verwirkliche. Natürlich hat Preußen keinen Nachteil vom Bund. Aber daß in der ganzen, verlotterten Tafelrunde deutscher Fürsten, wenn es sich um das Werden eines einigen Deutschlands handelt, nur der König von Preußen als spiritus rector in Betracht kommen kann . . .«
»Es handelt sich um die moralische Vervollkommnung der deutschen Nation!«
»Die noch nicht da ist!«
»Aller Deutschen denn!«
»Von denen jeder anders denkt und tut als der andere!«
»Das hindert die Vervollkommnung nicht!«
»Zeige mir eine Nation, die in der Uneinigkeit groß wurde!«
»Sie braucht eben nicht äußerlich groß zu werden! Staatliche Größe ist Herrschaft und Macht, diese zwei Begriffe aber haben mit sittlicher Sendung nichts zu tun!«
»Und wenn es den Russen, den Briten, den Franzosen, – einer weißgott wie gewaltigen Koalition einmal einfällt, über dies Schachbrett von Ländern und Ländchen herzufallen und es in Grund und Boden zu stampfen?«
»Gegen Möglichkeiten, die in der Inferiorität der Anderen liegen, läßt sich schwer vorbeugen!«
»Also abwarten und Tee trinken?«
Aus den lichthellsten Augen sah Goethe den Aufgeregten an, der im Feuer seiner Überzeugung heiß glühte. »Ich sage es zum zweitenmal: ich bin kein politischer Mensch. Aber ich halte die Absicht, die die schaffende Natur mit den Nationen hat, nicht für darin erfüllt, daß sie große Staaten errichten, Menschen, Land, Geld, Reichtümer und Schätze häufen, über andere Völker gebieten, Furcht erzeugen und erhalten, – kurz: eine möglichst bedeutende Landkartenrolle auf der Welt spielen. Denn die Natur liebt ebensowenig den Mißbrauch der Kraft, den sie mitgibt, wie das Mißverhältnis zwischen den Geschöpfen ihrer Reihen. Ich kann mir natürlich vorstellen, daß die deutsche Nation geeint wird. Ich kann mir auch vorstellen, daß sie dabei – wenn sie besonderes Glück hat – moralisch höher kommt; aber auch, daß sie – wie es aufsteigenden Völkern gewöhnlich ergeht – innerlich niedersteigt. Ich kann mir endlich sogar vorstellen, daß sie ungeheuere Siege erringt, oder ungeheuere Niederlagen erleidet.« Frohgemut lachte er. »Das ganze Repertoire der Weltgeschichte kann ich mir eben von der geeinten deutschen Nation ebenso gut wie von der zerstückten vorgestellt denken. Aber: für heute und immer werde ich sowohl die glorreichsten wie die demütigendsten Stationen dieses äußeren Wegs für unwesentlich halten. Für völlig nichtssagend! Sie zeigen nur den Spielanteil der Deutschen am Theater der Welt an, nicht den moralischen Anteil der deutschen Nation am Prozeß der Vervollkommnung der Menschheit. Um diesen allein aber ist's mir zu tun! Sie kennen wie ich unseren Nationalcharakter. Er wird, geblendet von der pomphaften Auswirkung, die der ganz andere Charakter der andern europäischen Völker von diesen verlangt, stets verkennen, daß sein Reich von einer anderen – von der sittlichen Welt ist, und daher immer glauben, die »Großmächte« nachahmen zu müssen. Begreiflicherweise wird ihm das nie gelingen. Aber erst, wenn er das bittere Lehrgeld dieses Mißlingens immer wieder und wieder wird bezahlt haben, wird es ihm aufdämmern, daß, genau so wie der einzelne Mensch, auch ein Volk seinen höchsten Triumph nur darin finden kann: durch die möglichste Ausbildung seiner geistigen Natur dem Gesetz der aufsteigenden Entwicklung aller Organismen zu helfen. Und diese Dämmerung . . . .«
»Soll ich meinen Landständen beibringen!« Schallend lachte Karl August; fuchtelte puterrot, mit empörten Armen vor Goethe herum. »Daß das aber nichts anderes heißt, als: die Sachsen-Weimar-Eisenachschen Fliegen fangen und dabei den Daumen im Schoße drehen, dürftest du wissen. Als ob das, was wir »Volk« nennen, jemals die Leiter des Geistigen emporgeführt werden könnte! Das, was wir Wenigen in Weimar – wenn du erlaubst, daß ich mich mit dazu zähle – an Geistigem fördern, jemals über uns Wenige hinaus wirkte! Die Masse muß handgreiflich – und das heißt: daß sie's am Leibe spürt – geschüttelt werden, um auf einen neuen Gedanken zu kommen! An der Seele magst du uns packen, die zum Bewußtsein von ihr schon gekommen sind. Aber nicht die Masse!«
»Die Masse muß eben zu diesem Bewußtsein gebracht werden!«
»Damit jeder noch so stinkende Prolete sich selber bestimme, wahrscheinlich?«
»Sich selber verantworte!«
Grausam höhnisch lachte Karl August auf. »Du bist und bleibst der
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