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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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Jahre lang ununterbrochen auf ihn herabbrennen lassen, – er rauscht und quillt dennoch! Denn er ist: Genius! »Und ich?« Wie ein Dolch fuhr die Vorstellung von den tappenden Sätzen in die barbarisch aufgerissene Neidwunde, das Bild der unsicher Brücke schlagenden Gedanken, mit denen er Jahr für Jahr genielos kleistrig die bandwurmlange Allee der ›Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit‹ zog. »Wieland, wenn ihm das nicht gefiel, ist ein Esel!« stieß er grimmig hervor, ergriff, als dulde ihn die Erregung keine Sekunde länger in der Stube, den Stock und den Hut und floh an die Tür. »Natürlich mußt du es so machen! Versteht sich von selber! Da gibt es keine Wahl!« Die Klinke riß er mit rauher Hand nieder. »Habe ich dir nicht unlängst geschrieben: Gott segne dich, daß du den ›Götz‹ gemacht hast, tausendfältig? Aber der Satan mitsamt seiner Großmutter soll dich reiten, – auch tausendfältig! – wenn du an dieser Arbeit einschläfst!« Und war weg.
    Lange, lange, und von Viertelstunde zu Viertelstunde gekrümmter, fahler, ging Goethe zwischen den eindämmernden Wänden auf und nieder. Als, bei Dunkelwerden, Vogel eintrat, auf den Zehenspitzen, um zu melden, daß es Zeit sei, zum Herzog zur Tafel zu gehen, knurrte der Mann, der hochrückig wie ein giftiger Kater vorm Tische saß: »Ich bin krank.« Als Vogel nach einer halben Stunde zitternd wiederkam: Seine Durchlaucht und die Gesellschaft wünschten etwas vorgelesen heute Abend, schrie er ihn an: »Ich bin gestorben.« So kam er zur Tafel, als das Obst gereicht wurde. Paradiesisch kalt rieb er sich die Hände, als ihn die Stimmchen der »verrückten Weiber«, wie Herder sie nannte, mit Vorwurf und Sehnsucht umzwitscherten. Er hatte mittlerweile im ›Werther‹ die Geschichte vom Knecht eingeschoben, der den Nebenbuhler erschlägt, damit keiner die Geliebte habe, die Geliebte keinen habe. »Du bist nicht zu retten, Unglücklicher! Ich sehe wohl, daß wir nicht zu retten sind!« Diese Worte der endgültigen Verzweiflung übertönten die aufgewärmten Verse, die er las. Er las: ›Proserpina‹ aus dem ›Triumph der Empfindsamkeiten‹ und las doch, für sich, nichts anderes als ›Iphigenie‹. Trotzdem, in derselben Nacht noch, als im zweiten Auftritt Arkas mit Iphigenie sprechen sollte, sprachen weder Iphigenie noch Arkas. Sie schwiegen wie Holzgötter. Wie Wüstensteine! Es war ihm, als ob sein Gehirn Sand rollte, in seinem Gemüte drin ein Krebsschwamm die mager vom Hirn herab tropfenden Klangreste aufsöge, die Hand, die den Kiel führte, stockte, der Kiel wie ein schartiges Schwert widerkratzte. »Ich war , vielleicht, ein Dichter. Ein Künstler. Aber ich bin's nicht mehr!«
    »Wenn heut der König dich anredet, dann –
Ermögliche ihm, daß er sich klar erklärt!«
    An allen Gliedern zu beben begann er. Sprang auf, öffnete gierig das Fenster. Nahm, als das nicht half, einen Band Voltaire vom Brette. Begann zu lesen; vielleicht sprang der Knopf auf! – Nein! Der Knopf sprang nicht auf! »Ich habe zu lange gewartet. Die Gefahr unterschätzt. Hätte schon viel früher fliehen müssen!« Krampfhaft versuchte er, einen Einfall zu haben; einen neuen Stoff zu finden; die Stimmungsfarbe, den Ton für die Weiterbehandlung der schon angepackten zu erhaschen. Nichts! Er war ausgetrocknet! Sein Verstand gewiß auf der Höhe. Aber die poetische Produktionsfähigkeit dahin! Vielleicht in den Naturwissenschaften konnte er es noch zu etwas bringen? Oder in der bildenden Kunst? Aber in der Dichtung – nie wieder! Mit wahnsinnigen Händen, daß die Dielen schrill aufsangen, rüttelte er den Tisch. »Zum Eunuchen haben sie mich gemacht: der Hof, und die Akten, – und du!« Wie gestochen fuhr er empor. Der Atem riß ihm das Blut ins Gesicht. Schüttelfrost griff ihn. »Gott verzeihe ihnen, denn sie wußten nicht, was sie taten! Aber ich hätte es wissen müssen!« Oder: behauptete man etwa nicht, daß schon unzählige Dichter mit einem Schlag zu dichten aufgehört haben, nachdem der letzte Nachfunke des Pubertätsfeuers verglommen war? »Und ich werde in dieser Nacht siebenunddreißig!
    Wenn heut der König dich anredet, dann –
Ermögliche ihm, daß er sich klar erklärt.«
    Wie ein Orkan blies er das Licht aus. Verrecken!
    Als der Morgen heraufdämmerte, nagelte er unter hartem, häßlich höhnischem Gesicht das Phänomen der »durchgewachsenen Rose« fest. »Kelch und Blumenkrone wie sonst um die Achse angeordnet«, schrieb er

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