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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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Takt gäbe. Lehrerhaft wichtig blinzelte das Auge, das, vom Fistelleiden her, das, was es sagen wollte, noch immer nicht eindeutig ausdrücken konnte. »Ich habe den Abschnitt in den letzten Tagen wiederholt gelesen«, sagte er endlich, »und beanstandete folgendes: Der Verdruß Werthers bei der Gesandtschaft muß als Nebenmotiv des Selbstmords weg!« – »Aber Jerusalem hat sich aus unglücklicher Liebe und verletztem Ehrgefühl erschossen!« – »Du schreibst keinen Polizeibericht. Das Kunstwerk hat mit der Tatsächlichkeit nichts zu tun!« beharrte Herder bocksteif. »Dramatische Antriebe dürfen nicht gekreuzt werden. Die Seele handelt, wo sie aus der fortschreitenden Folge eines Affektes weiter handelt, zuletzt bestimmend aus dem Orgasmus eben dieses Affektes!« – »Im Gegenteil! Nach meiner Erfahrung unterliegt die erlebende Seele nicht nur einem Angriff. Sie tanzt, wie das Schiff, auf dem Meer aller Wellen. Die Marionette hängt an einem Faden; wir an allen, die bewegen können!« – Aber der Kritiker zuckte nur die Achseln. Ironisch blank schimmerten die Zähne zwischen den üppigen Lippen. »Und zweitens: ich möchte in die psychologische Schilderung, die das blinde Hinschreiten zum Endentschluß darstellt, ein zusammenfassendes, zum letzten Schritt drängendes Exempel, – ein Geschehen eingeschoben sehen. Die Logik der Erzählung ist am Schlusse zu abstrakt. Man müßte an irgendeinem letzten dramatischen Akzent begreifen, daß der Mann nicht mehr gerettet werden kann.«
    Goethe war an das Fenster geschlichen. Stand nun mit dem Profil gegen das Fenster. Das Grün der Baumkronen, die vor der Brüstung draußen schaukelten, malte sein Gesicht bleich und alt. In unausgesetzter Bewegung quälte sich dieses Gesicht. Die Zähne bissen die Unterlippe. Die gekreuzten Arme zuckten. Die Finger spielten auf den Ärmeln Klavier. »Ich werde mir's überlegen,« sagte er schließlich finster und kam in den Raum zurück. Daß dieser adrette Mensch da ihn immer wieder peinigen kommen mußte! Auf diese Weise war ja immer wieder alles umsonst zur Ruh gebracht, zerstob jede kaum ertrotzte Sicherheit von neuem und schob sich die Reise immer weiter hinaus! »Sage mir lieber«, trat er Herdern jäh vor den Leib und ergriff die Iphigenie, »was aus dem Frauenzimmer da werden soll? Höre!« Und begann, als ober eine Hanswurstiade läse, den ersten Auftritt zu lesen. Rücksichtslos, mit grausamer Übertreibung die Ruhelosigkeit, Unsymmetrie, Unrhythmik der kurzen Verszeilen herausstellend, in die das Werk erst in den letzten Wochen geschnitten worden war. »Was? Wie wenn eine angeschossene Katze übers Sturzfeld humpelt? Da war die Prosa-Fassung noch besser! Und jetzt höre dagegen Sophokles, aus der ›Elektra‹!« Und melodisch, in rollendem, atemreich vollem Period rauschte der griechische Vers an die lautlos aufhorchenden Wände. Da gab es keine Gruben und Hürden, vollends keine Erdspalten, darin das Wort diabolisch gleichzeitig mit dem entzweigerissenen Gedanken versank. »Ein Teufel hat mir den Mahner da in die Hand gespielt!« Triumphal schwang der Band in der abgesetzten Hand, Feuerwerk sprühte das herausgeforderte Auge. »Und jetzt nahst erst noch du mit dem Brechmittel ›Werther‹! Und ich bin müde, bin krank, habe es satt, möchte Tabula rasa machen, um endlich einmal Anderes, Neues zu beginnen! Die ganze Nacht habe ich gestritten mit dem Zweifel, ob ich mir die Mühe geben muß, den Vers noch einmal umzugießen. Hab's dann, am Morgen, auch wirklich versucht: fünffüßige Jamben. Paß gut auf!« Und nun las er zum drittenmal, keuchend:
    »Heraus in eure Schatten, rege Wipfel
Des alten, heilgen, dichtbelaubten Haines,
Wie in der Göttin stilles Heiligtum
Tret ich noch jetzt mit schauderndem Gefühl,
Als wenn ich sie zum erstenmal beträte,
Und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher.
So manches Jahr bewahrt mich hier verborgen
Ein hoher Wille, dem ich mich ergebe;
Doch immer bin ich, wie im ersten, fremd.
Denn ach, mich trennt das Meer von den Geliebten,
Und an dem Ufer steh ich lange Tage,
Das Land der Griechen mit der Seele suchend;
Und gegen meine Seufzer . . . . . . . . .«
    »Höre auf!« Donnernd sprang Herder empor. Drohend spannten sich die Augenbrauenbögen über den gekniffenen Lidern. Dieser Mensch war begnadet! Er mochte wachen, träumen, sacktief schlafen, – in diesem Leibe rauschte ein Brunnen! Man kann ihn klafterhoch einschütten, Unrat aus Fässern in ihn gießen, die Sonne zehn

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